Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stromschnellen: Roman (German Edition)

Stromschnellen: Roman (German Edition)

Titel: Stromschnellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Jo Campbell
Vom Netzwerk:
Zielscheiben aus Papier hatte sie schon lange keine mehr, und deshalb hatte sie zur Übung Eicheln und Hickorynüsse von einem Zaunpfosten geschossen. Heute hatte sie die erste Milchorange der Saison entdeckt, sie auf den Pfosten gesetzt und »trocken« darauf geschossen, obwohl sie nicht sicher war, wie das dem Schlagbolzen ihrer Marlin bekam. Sie schlug sich ziemlich gut durch, während der Herbst näherrückte, aber sie befand sich gewissermaßen in der Warteschleife und hoffte auf einen Fingerzeig darauf, wie sie weitermachen sollte.
    Margo schlitzte das Kaninchenfell von der Leiste bis zur Brust auf, wiederholte dies mit der unter der Haut liegenden Membran und leerte die Eingeweide auf einer Papiertüte aus. Den entstandenen Hohlraum schabte sie mit den Fingern aus, und zum Schluss riss sie die Lungen los. Plötzlich stand ein Mann neben ihr. Margo strauchelte und hätte sich fast ins Handgelenk gestochen. Mit dem Messer in der einen und dem ausgeweideten Kaninchen in der anderen Hand richtete sie sich auf und sah den Fremden an, der viel zu dicht neben ihr stand. Er musste ungefähr in Michaels Alter sein, wirkte aber weicher und behäbiger.
    »Guten Abend, Miss«, sagte er und machte einen Schritt rückwärts. »Lassen Sie sich nicht stören.« Er war von gedrungener, breiter Statur, hatte schwarzes Haar und trug ein Sweatshirt mit Universitätswappen. Als er noch einen Schritt zurückwich, ging Margo in die Hocke und widmete sich wieder dem Tierkadaver. Sie ritzte das Fell rund um den Schwanz ein und machte quer über den Rücken einen Schlitz. Dies war nicht die Art und Weise, ein Kaninchen abzubalgen, die ihr Großvater ihr beigebracht hatte, sondern Brians weitaus schnellere Methode, wenn man nur ans Fleisch heranwollte und auf das Fell keinen Wert legte. Sie hielt das Kaninchen mit einer Hand am Kopf fest, griff mit der anderen in den Schlitz und zog die untere Hälfte des Fells über die Hinterläufe, bis es nur noch am Schwanz festhing. Das Gleiche wiederholte sie mit der oberen Hälfte, indem sie die Finger unter die Haut schob und sie über Schultern und Vorderläufe bis zum Hals zog. Anschließend schnitt sie den Kopf ab und drehte ihn dann endgültig von der Wirbelsäule ab. Dabei ließ sie die Halbschuhe des Mannes nicht aus den Augen. Im Buch des jagenden Indianers hatte sie nämlich gelesen, dass man dem Feind die Achillessehne durchtrennen muss, damit er einem nicht nachsetzen kann.
    »Haben Sie gewildert?«, fragte der Mann.
    Margo hackte den Schwanz ab und legte ihn zum Kopf auf die Tüte mit den Innereien. Der Mann sah nicht gefährlich aus, aber falls er sie packen sollte, würde sie mit dem Messer nach ihm stechen oder ihm mit dem Kolben der Marlin, die über ihrer Schulter hing, eins überziehen.
    »Sieht beeindruckend aus, was Sie da machen«, meinte er und schob sich eine widerspenstige schwarze Strähne aus den Augen. »Ich würde gern ein Kaninchen abbalgen können.«
    »Für fünf Dollar zeige ich es Ihnen«, erwiderte Margo. Für fünf Dollar könnte sie sich mit reichlich Munition eindecken. Sie fischte die Leber aus den Innereien und suchte sie nach Flecken ab – ein Indiz für Hasenpest. Der Mann folgte ihr ans Flussufer, wo sie die Innereien als Futter für Fische und Schildkröten ins Wasser warf. Dann steckte sie das Kaninchen in eine leere Kartoffelchipstüte, wälzte es ein wenig im restlichen Salz, verschnürte die Tüte, legte sie ins Wasser und beschwerte sie mit einem Stein, sodass nur noch die Spitze herausschaute.
    »Was wäre, wenn ich Sie nach Ihrem Jagdschein fragen würde?«, erkundigte sich der Mann. Er stand hinter ihr und lächelte. Seine Schneidezähne überlappten sich.
    Margo beachtete ihn nicht.
    »Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Volk früher hier gelebt hat.« Er verschränkte die rundlichen, weichen Hände vor der Brust. »Würden Sie Ihre Mahlzeit mit mir teilen?«
    »Betteln Sie alle Leute um Essen an?«
    Vier im Chor krächzende Blauhäher schossen herab.
    »Wenn man in der Fremde unterwegs ist, ist man auf die Großzügigkeit der Einheimischen angewiesen.«
    Abschätzend sah Margo das Kaninchen an und kam zu dem Schluss, dass es auch für zwei reichlich genug wäre.
    »Seit ich hier in der Gegend bin, habe ich versucht, mich wie ein Indianer zu ernähren«, berichtete er.
    »Warum?«
    »Zunächst einmal, weil ich Indianer bin. Darum habe ich auch gesagt, dass mein Volk von hier stammt.«
    Margo sah ihn sich genauer an. Seit sie Michaels Buch

Weitere Kostenlose Bücher