Studio 6
auf dem Weg zum Faxgerät. Man stelle sich vor, er wüsste es wirklich. Man stelle sich vor, die Konkurrenz hätte morgen Palmes Mörder als Aufmachen Dann würde sie für alle Zeit als diejenige bekannt sein, die den Supertipp versaut hat, genau wie Bonniers, die Astrid Lindgren abgelehnt, oder die Plattenfirma, die die Beatles mit der Begründung »Gitarrengruppen sind out« weggeschickt hatte.
Das Fax hatte eine schlechte Qualität, Josefine und ihre Klassenkameradinnen waren schwarze Flecken auf einem grau gestreiften Hintergrund. Doch unter dem Bild standen die Namen aller Schüler, neunundzwanzig junge Menschen, die alle Josefine gekannt hatten. Auf dem Weg zurück zu ihrem Platz unterstrich sie die mit ungewöhnlichen Nachnamen, bei denen man vielleicht eine Chance hatte, sie im Telefonbuch zu finden. Die Kinder hatten wahrscheinlich keinen eigenen Anschluss, also musste sie nach dem der Eltern suchen.
»Sie haben eine Sendung bekommen«, sagte der Wachmann Peter Brand. Er war der Sohn von Tore und machte im Juli nachts die Vertretung.
Annika schaute verwundert auf und nahm den weißen Umschlag entgegen. »Bitte nicht knicken«, las sie. Rasch schlitzte sie ihn auf und leerte den Inhalt auf den Tisch.
Es waren drei Fotos von Josefine. Auf dem obersten lächelte sie strahlend in die Kamera. Es war ein entspann tes Studiobild, auf dem Kopf saß eine Studentenmütze – das Abiturfoto. Annika bekam eine Gänsehaut. Das Bild war so scharf, dass man es zehn Spalten breit ziehen konnte, wenn es sein musste. Die anderen zwei waren ordentliche Amateurbilder. Sie zeigten die junge Frau mit einer Katze beziehungsweise in einem Sessel sitzend.
Zuunterst lag ein Zettel von Gösta, dem Pressesprecher.
»Ich habe den Eltern versprochen, dass die Bilder an alle Medien weitergeleitet werden, die sie haben wollen«, schrieb er. »Seien Sie doch so nett, sie an die Konkurrenz zu schicken, wenn Sie damit fertig sind.«
Annika ging schnell zu Jansson hinüber und legte die Bilder vor ihn hin.
»Sie war Pfarrerstochter, träumte davon, Journalistin zu werden«, sagte sie.
Jansson nahm die Bilder auf und studierte sie gründlich.
»Fantastisch«, meinte er.
»Die Konkurrenz soll sie bekommen, wenn wir damit fertig sind«, sagte Annika.
»Natürlich«, sagte Jansson. »Wir schicken sie sofort rüber, sowie sie morgen früh ihre letzte Auflage gedruckt haben. Gute Arbeit!«
Annika kehrte zu ihrem Platz zurück, setzte sich und starrte auf das Telefon. Es war halb drei. Wenn sie noch eine von Josefines Freundinnen erwischen wollte, musste sie jetzt anfangen. Wenn sie wartete, wurde es nur später.
Sie fing mit zwei ausländischen Nachnamen an, dort nahm aber niemand ab. Dann versuchte sie Silverbjörck, und eine junge Frau ging an den Apparat. Annikas Puls wurde schneller, sie schloss die Augen und hielt sich die Hand davor.
»Entschuldigen Sie bitte, dass ich mitten in der Nacht anrufe«, sagte sie langsam und leise. »Ich heiße Annika Bengtzon und bin vom
Abendblatt.
Ich rufe an, weil eine Ihrer Klassenkameradinnen, Josefine Liljeberg …«
Ihre Stimme versagte, sie räusperte sich laut.
»Ja, ich habe es gehört«, schniefte das Mädchen, das laut Klassenliste Charlotta hieß. »Es ist so furchtbar. Wir sind alle so traurig. Wir Hinterbliebenen müssen einander stützen, um weiterleben zu können.«
Annika öffnete die Augen und machte sich Notizen. Das war viel einfacher, als sie gedacht hatte.
»So etwas ist unsere größte Angst«, sagte Charlotta, »es ist das, was junge Mädchen wie wir am meisten fürchten.
Jetzt ist es einer unserer Freundinnen passiert, einer von uns. Wir müssen darauf reagieren.«
Sie hatte aufgehört zu schniefen und klang ziemlich wach. Annika machte Notizen.
»Haben Sie und Ihre Freundinnen schon mal über so etwas geredet?«
»Ja, unbedingt. Aber es hat natürlich keine gedacht, dass es einer von uns passieren könnte. Das glaubt man ja nie.«
»Kannten Sie Josefine gut?«
Charlotta schniefte wieder, ein trockenes, tiefes Schluchzen.
»Sie war meine beste Freundin«, sagte sie, aber Annika hatte den Verdacht, dass sie log.
»Wie war Josefine denn so?«
Charlotta hatte sich die Antwort schon zurechtgelegt.
»Immer nett und fröhlich«, sagte sie. »Hilfsbereit, gerecht, in der Schule fleißig. Sie ging gern auf Feste. Ja, das kann man sagen …«
Annika hörte eine Weile schweigend zu.
»Wollen Sie ein Bild von mir machen?«, fragte Charlotta.
Annika schaute auf die
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