Studio 6
rannte sie und warf sich gegen die Hintertür. Zwei Etagen tiefer, im Treppenhaus vor dem Archiv, setzte sie sich.
Ich bin ein verkommener Mensch, dachte sie. So wird das nie was.
Sie blieb eine Weile sitzen und verließ anschließend das Gebäude über den Eingang der Druckerei und kaufte sich ein Eis.
Langsam schlenderte sie im Mariebergspark zum Ufer hinab. Über das Wasser hörte sie das Rufen der Kinder im Smedsudds-Bad. Sie setzte sich auf eine Parkbank, aß ihr Eis und warf dann das Papier in einen überquellenden Papierkorb am Weg.
So ist es, wenn man lebt, dachte sie. Man hört die Geräusche, man spürt den Wind und die Hitze, man macht etwas falsch und schämt sich. Genauso geht es. Leben und lernen.
Ich werde nie mehr zögern, jemanden anzurufen oder mit jemandem Kontakt aufzunehmen. Ich werde immer für das geradestehen, was ich schreibe. Ich werde mich niemals für meine Arbeit oder meine Worte schämen.
Langsam ging sie am Ufer entlang zum Smedsudds-Bad, dann den Weg am Fyrverkarbacken hinauf und zurück zum Pressehaus.
»Sie müssen Bescheid sagen, wenn Sie weggehen«, sagte Tore Brand säuerlich am Empfang.
Sie hatte keine Lust zu antworten, nahm den Fahrstuhl nach oben und betete im Stillen, der aufgebrachte Pfarrer möge verschwunden sein. Das war er, und mit ihm alle anderen. Spiken und Jansson saßen bei der Übergabe, die Redakteure waren noch nicht gekommen, Berit war irgendwo draußen.
Sie ließ sich schwer auf ihren Platz fallen. Heute hatte sie nichts von Wert zu Stande gebracht. Jetzt musste sie nur noch die Polizei anrufen.
Der Pressesprecher teilte ihr mit, die Ermittlungen seien noch in vollem Gange.
In der Dienststelle der Kripo ging niemand an den Apparat.
Die Einsatzzentrale hatte den ganzen Tag lang nichts mit dem Mord zu tun gehabt.
Sie zögerte, beschloss dann aber doch, den Leiter der Ermittlungen anzurufen. Sollte er doch sauer sein.
Er ging in der Mordkommission ans Telefon. Ihr Puls stieg.
»Hallo, ich bin Annika Bengtzon vom …«
»Ich weiß.«
Leises Stöhnen.
»Arbeiten Sie rund um die Uhr?«, fragte sie.
»Sie doch offenbar auch.«
Seine Stimme klang kalt und kurz angebunden.
»Ich hätte da noch ein paar kurze Fragen …«
»Wenn ich mit jedem Journalisten reden würde, hätte ich keine Zeit, Morde aufzuklären.«
Sauer, wütend.
»Sie müssen überhaupt nicht mit allen reden, es reicht, wenn Sie mit mir sprechen.«
»Das meinen Sie.«
Annika dachte ein paar Sekunden nach.
»Wir verschwenden unsere Zeit. Es geht schneller, wenn Sie einfach auf meine Fragen antworten.«
»Am schnellsten ginge es, wenn ich einfach auflegen würde.«
»Und warum machen Sie das nicht?«
Sie hörte ihn durchatmen, als würde er sich das selbst gerade fragen.
»Was wollen Sie?«, fragte er schließlich.
»Wissen, was Sie heute getan haben.«
»Routine. Verhöre.«
»Patricia? Joachim? Die anderen im Klub? Vielleicht ein paar Gäste? Die Eltern? Der Zwillingsbruder? Leute im Haus gegenüber?
Die dicke Tante mit dem Hund? Wer ist Jesper? Und wer ist der Minister?«
Sie konnte sein Erstaunen durch die Leitung spüren.
»Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht«, meinte er.
»Nein«, erwiderte sie, »nur die üblichen Recherchen.«
»Wir haben ihre Kleider gefunden«, sagte er.
Annika bekam eine Gänsehaut. Das war noch nicht offiziell. Er gab ihr etwas Exklusives.
»Wo?«
»In der Müllverbrennungsanlage in Högdalen.«
»Auf der Müllkippe?«
»Nein, in einer Pressmaschine, zusammen mit einem Haufen anderen Zeugs. Sie müssen irgendwo auf Kungsholmen in einen Papierkorb geschmissen worden sein. Die Körbe werden täglich von der Stockholmer Stadtreinigung in offene Wagen geleert und dann mit allem, was man so auf der Straße findet, zusammengepresst. Den Rest können Sie sich denken.«
»Können Sie sie noch als Beweise gebrauchen?«
»Bisher haben unsere Techniker Teile von einem Fernsehapparat, der Polsterung eines Sofas, Spuren einer Bananenschale und den Inhalt einer Babywindel in den Fasern festgestellt.«
»Somit ist der Fund wertlos?«
»Danach sieht es bisher jedenfalls aus.«
»Waren die Sachen kaputt?«
»Total zerrissen. Von der Pressmaschine.«
»Das heißt, dass alle Fingerabdrücke, Haare, Fasern und alles, was Aussagekraft haben könnte, zerstört ist?«
»So ist es.«
»Darf ich das schreiben?«
»Meinen Sie, dass das einen Sinn hat?«
Sie dachte nach.
»Der Mörder muss sie dort weggeworfen haben. Vielleicht hat ihn jemand
Weitere Kostenlose Bücher