Stürmische Begegnung
hast ihr doch nicht gesagt, daß sie kommen soll?“
„Ich dachte, du würdest sie gern sehen.“ Er zögerte. „Ich dachte, es würde dich aufheitern.“
„Aber warum hast du es mir nicht gesagt?“
Ich lächelte. „Wir wollten, daß es eine Überraschung ist.“
„Oh! Ich wünschte, ich hätte es gewußt, dann hätte ich mich darauf freuen können. Das haben wir doch immer vor Weih nachten gemacht. Die Vorfreude war die schönste Freude.“ Sie ließ mich los, und ich hockte mich neben das Bett. „Du wirst doch bleiben?“
„Ja, einen Tag oder so.“
„Wie schön! Wir können uns alles erzählen, was inzwischen passiert ist. Otto, weiß Maria, daß sie bleibt?“
„Natürlich.“
„Und was ist mit dem Essen?“
„Es ist alles vorbereitet. Wir essen hier, nur wir drei.“
„Oh, wir müssen darauf trinken. Einen netten kleinen Drink. Ist Champagner da?“
Otto lächelte. „Ich denke, ich werde eine Flasche auftreiben. Ich glaube, ich habe sogar eine auf Eis gelegt, für eine Gelegen heit wie jetzt.“
„Sehr umsichtig.“
„Soll ich sie holen?“
„Bitte, Liebling.“
Sie reichte mir ihre schmale, abgemagerte Hand. „Dann trin ken wir darauf, daß wir zusammen sind, ja?“
Er ging, um den Champagner zu holen, und wir waren allein. Ich sah einen kleinen Schemel und zog ihn heran, um neben ihr sitzen zu können. Wir sahen uns an; sie mußte immerfort lä cheln. Das strahlende Lächeln und die glänzenden Augen waren noch wie früher, auch das schöne volle Haar, das sich schwarz von dem schneeweißen Kissen abhob. Ansonsten sah sie schrecklich aus. Ich hatte nicht gewußt, daß man so dünn sein und trotzdem noch leben konnte. Und daß sie nicht blaß und fahl war, sondern so braun gebrannt, als hätte sie den ganzen Tag in der Sonne gelegen, machte den Eindruck noch unwirklicher. Aber sie war ganz aufgeregt vor Freude. Es schien, als könnte sie nicht aufhören zu reden.
„Es ist süß von ihm, daß er wußte, wie gern ich dich sehen würde. Das Dumme ist nur, daß ich im Moment zu nichts nütze bin, ich kann mich zu nichts aufraffen, er hätte warten sollen, bis es mir wieder besser geht, dann hätten wir uns amüsieren können und baden. Oder mit dem Boot hinausfahren und ein Picknick machen und…“
„Ich kann doch wiederkommen“, sagte ich.
„Ja, natürlich kannst du das.“ Sie berührte mein Gesicht, als brauchte sie diesen Kontakt, um sich zu vergewissern, daß ich wirklich da war. „Du siehst umwerfend aus, weißt du das? Du hast die Farben deines Vaters, diese großen grauen Augen und das maisblonde Haar. Es ist doch maisblond, oder eher gold blond? Und mir gefällt deine Frisur.“ Ihre Hand glitt zu meinem Zopf, der mir wie ein Tau über die rechte Schulter fiel. „Sie gibt dir etwas von einer Figur aus einem Märchen, wie in den altmo dischen Märchenbüchern mit den wunderschönen Bildern. Du bist sehr hübsch.“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das bin ich nicht.“
„O doch, jedenfalls für alle, die dich aufmerksam betrachten, und das ist fast genausogut. Liebling, was machst du? Es ist eine Ewigkeit her, seit ich dir geschrieben oder von dir gehört habe. Wessen Schuld ist das bloß? Ich nehme an, ich bin hoffnungslos, was Briefeschreiben betrifft.“
Ich erzählte ihr, daß ich in einer Buchhandlung arbeitete und gerade meine erste Wohnung bezogen hatte. Sie fand es amüsant. „Du bist wirklich ein komischer Mensch. Dir ein eigenes Nest zu bauen, ohne jemanden zu haben, der es mit dir teilt! Hast du noch keinen kennengelernt, den du heiraten möchtest?“
„Nein. Keinen, der mich heiraten möchte.“
Sie sah mich augenzwinkernd an. „Und der Herr, für den du arbeitest?“
„Er ist verheiratet, er hat eine sehr nette Frau und eine Menge Kinder.“
Sie kicherte. „Das hat mich nie gestört. O Schatz, ich war sicher eine schreckliche Mutter. Dich an meinem anstößigen Leben teilnehmen zu lassen! Es ist ein Wunder, daß du dir dabei nicht die schlimmsten Neurosen und Verklemmungen geholt hast, oder wie man das heutzutage nennt… Aber du siehst nicht so aus, vielleicht war es also doch ganz gut.“
„Natürlich war es gut. Ich bin eben mit offenen Augen groß geworden, und das ist nicht schlecht.“ Ich fügte hinzu: „Otto gefällt mir.“
„Ist er nicht himmlisch? So korrekt und pedantisch und nor disch. Und so umwerfend gebildet… Ein Glück, daß er nicht verlangt, ich solle auch gebildet sein! Er mag es einfach, wenn ich ihn zum
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