Stürmische Begegnung
schelmischen Lebensfreude, ungetrübt durch den Staub der inzwischen ver gangenen Jahre. Ich sah das dunkle Haar, die ausgeprägten Wan genknochen und den sinnlichen Mund, der nicht lächelte, aber im nächsten Moment fröhlich auflachen wollte. Sie trug das dünne weiße Kleid, das sie auch für das Porträt über dem Kamin im Wohnzimmer von Boscarva getragen hatte.
Sophia.
Ich war von ihr fasziniert gewesen, seit meine Mutter ihren Namen erwähnt hatte. Dadurch daß ich ihr Gesicht nie gesehen hatte, war meine Neugierde nur noch größer geworden. Aber nun, wo ich sie gefunden hatte und wir uns endlich gegenüber standen, kam ich mir vor wie Pandora. Ich hatte die Büchse geöffnet, die Geheimnisse waren ans Licht gekommen, und keine Macht der Welt war imstande, sie zurückzudrängen und den Deckel wieder zu schließen.
Ich kannte dieses Gesicht. Ich hatte mit ihm geredet, mit ihm gestritten, es hatte mich finster und freudig angeblickt. Ich hatte erlebt, wie die dunklen Augen zornig funkelten und wie sie belu stigt aufblitzten.
Es war das Gesicht von Joss Gardner.
11
M ir war auf einmal bitterkalt. Ich hörte das mühsame Hämmern meines Herzens und fing plötzlich an, heftig zu zittern. Mein erster Impuls war, das Por trät wieder in die Ecke zu stellen, ein paar andere Bilder davorzu rücken, es zu verstecken wie ein Verbrecher eine Leiche ver steckt.
Doch schließlich stellte ich es vorsichtig auf einen Stuhl, trat mit zitternden Knien zurück und ließ mich vorsichtig auf das altersschwache Sofa sinken.
Sophia und Joss.
Die bezaubernde Sophia und der rätselhafte Joss, dem, wie ich spät, fast zu spät, festgestellt hatte, nicht zu trauen war.
Sie ging wieder zurück nach London, und ich glaube, sie hat geheiratet und ein Kind bekommen, hatte Pettifer mir erzählt. 1942 war sie dann bei einem Bombenangriff der Deutschen ums Leben gekommen.
Er hatte nichts von Joss gesagt. Doch Joss und Sophia waren so offensichtlich, so unauflösbar miteinander verbunden.
Dann dachte ich an meinen Sekretär, den Sekretär meiner Mutter, den sie mir vermacht hatte – der nun hinten in Joss’ Werkstatt versteckt war.
Und ich hörte Mollies Stimme: Ich weiß nicht, warum Gren ville so vernarrt in Joss ist. Es ist beängstigend. Es ist, als habe Joss irgendeine Macht über ihn.
Sophia und Joss.
Es war inzwischen vollkommen dunkel geworden. Ich hatte meine Uhr nicht um, und mir war jedes Zeitgefühl verlorenge gangen. Draußen heulte der Wind immer noch heftig und laut, so daß ich nicht hörte, wie Eliot vom Haus durch den Garten kam. Ich hörte nichts, bis die Tür sich plötzlich öffnete, als hätte eine Bö sie eingedrückt, und die Glühbirne wieder ihren verrückten Tanz begann und mich zu Tode erschreckte. Einen Moment spä ter kam Rufus hereingelaufen. Er sprang neben mir aufs Sofa, und mir wurde bewußt, daß ich Gesellschaft bekommen hatte.
Mein Vetter Eliot stand, von der Dunkelheit umrahmt, in der Tür. Er trug eine Wildlederjacke und einen hellblauen Rollkragenpulli und hatte sich einen Trenchcoat wie ein Cape über die Schultern gelegt. Das grelle Licht trieb alle Farbe aus seinem Ge sicht und verwandelte seine tiefliegenden Augen in zwei schwarze Löcher.
„Meine Mutter hat gesagt, daß du hier unten bist. Ich wollte… “
Er hielt inne, und ich wußte, daß er das Porträt gesehen hatte. Ich konnte mich nicht rühren, ich war wie versteinert vor Kälte, und außerdem war es ohnehin zu spät, um etwas zu unterneh men.
Er trat ins Atelier und machte die Tür zu. Die zuckenden Schatten kamen allmählich wieder zum Stillstand.
Keiner von uns sagte etwas. Ich hatte Rufus’ Kopf in den Arm genommen und suchte instinktiv Trost in seinem warmen seidigen Fell, während Eliot den Trenchcoat von den Schultern glei ten ließ und ihn auf einen Stuhl legte. Dann trat er langsam näher und setzte sich neben mich. Während der ganzen Zeit wandte er den Blick keine Sekunde von dem Porträt.
Endlich machte er den Mund auf. „Großer Gott.“
Ich sagte nichts.
„Wo war es?“
„Da hinten, in der Ecke.“ Meine Stimme klang wie ein Kräch zen. Ich räusperte mich und versuchte es noch einmal. „In der Ecke, hinter vier oder fünf anderen Bildern.“
„ Es ist Sophia.“
„Ja.“
„Es ist Joss Gardner.“
Es war nicht zu leugnen. „Ja.“
„Sophias Enkel, nicht wahr?“
„Ja. Er muß es sein.“
„Also, ich will verdammt sein.“ Er lehnte sich zurück und schlug,
Weitere Kostenlose Bücher