Stürmische Eroberung
behaupten kann, wenn mich der Lärm aus der Stube nebenan nicht täuscht. Geh doch bitte hinüber, und beruhige die kleinen Schreihälse. Beth und ich werden auf Mary aufpassen, bis die Hebamme hier ist – obwohl wir sie dann möglicherweise gar nicht mehr brauchen. Ich glaube, das Kind wird noch vor Mrs. Bundy eintreffen."
Nur zu bereitwillig eilte Prudence hinaus.
Nicht eben bester Laune ritt Lucas zusammen mit Solomon von Maitland House nach Whitehall. Es ärgerte ihn, dass er Jeffrey noch immer nicht aufgespürt hatte. Und nachdem er Prudence nun schon zum zweiten Mal nicht angetroffen hatte, war er überdies furchtbar enttäuscht, ein Gefühl, das er bisher nicht gekannt hatte. Kaum war er in London angekommen, hatte er wie ein dummer Junge sofort in Maitland House vorgesprochen, weil er es nicht erwarten konnte, Prudence endlich wiederzusehen.
Wieso nur hatte er ihr nicht das Jawort abgerungen, bevor sie Marlden Green verließ? Er kannte ja ihre rebellische Art inzwischen zur Genüge. Und nun hatte sie zweifellos genug Zeit gefunden, sich wieder in einen Wutanfall hineinzusteigern, weil er und Thomas sich hinter ihrem Rücken schon einig geworden waren. Dabei wusste er genau, wie viel sie von Anfang an für ihn empfunden hatte. Wenn sie kein so starrsinniges Geschöpf wäre, hätte sie es sicherlich gleich erkannt. Und er selbst begehrte sie mehr, als es ihm je möglich erschienen war.
Ob Prudence ihm gar auswich und deshalb nie daheim war, wenn er sie besuchen wollte? Besorgt runzelte er die Stirn. Sie wusste ja, dass er sie in London besuchen wollte und hätte ihm doch zumindest eine kleine Nachricht hinterlassen können. Ihre Tante Julia besaß doch eine ganze Armee von Dienstboten. Wieso musste da ausgerechnet Prudence nach Bishopsgate fahren, um ein Kind abzuholen? Je länger er darüber nachdachte, desto sicherer wurde er, dass er mit seinen Vermutungen völlig Recht hatte. Zornig lenkte er sein Pferd nach Long Acre, um mit Thomas zu sprechen, und war erleichtert, ihn auch tatsächlich zu Hause anzutreffen.
Thomas musterte den Freund erst einmal gründlich und erklärte dann: "Liebe Güte, du siehst ja grässlich aus."
"Tausend Dank", erwiderte Lucas trocken. "Ich freue mich ebenfalls, dich zu sehen."
Thomas reichte ihm einen Weinkelch. "Du siehst ganz so aus, als könntest du einen Schluck brauchen."
Ohne eine Miene zu verziehen, nahm Lucas das Gefäß und trank es in einem Zug leer.
"Was also bringt dich heute zu mir nach Long Acre?" wollte Thomas dann wissen und lauschte aufmerksam, während Fox es ihm erklärte. Als er geendet hatte, lachte Thomas ungläubig. "Unsinn, Lucas, Prudence wäre begeistert, dich wiederzusehen. Ich weiß es genau."
Gequält sah Lucas ihn an. "Wenn deine Schwester mich sehen wollte, wäre sie zu Hause gewesen. Ich habe ihr ausrichten lassen, dass ich ihr heute einen Besuch abstatten werde."
"Das ist schnell erklärt. Mary wird bald ihr nächstes Kind zur Welt bringen, und Prudence hat versprochen, sich um die anderen Kinder zu kümmern. Bestimmt war sie deshalb verhindert. Ich werde jedenfalls nach Maitland House reiten und mit ihr sprechen, damit du dich beruhigen kannst. Obwohl es mich doch erstaunt, dass du ihr nicht einfach nach Bishopsgate gefolgt bist, da du sie doch so unbedingt zu sehen wünschst."
"Das hätte ich auch gern getan, aber dazu bleibt mir keine Zeit. Eigentlich bin ich nämlich nach London gekommen, um meinen Cousin zu suchen", erwiderte Lucas. "Aber er hockt in irgendeinem Versteck. Trotzdem, ich werde ihn schon aufspüren."
Der ernste Ausdruck im Gesicht des Freundes gab Thomas zu denken. "In der Nacht, als wir nach England zurückkehrten, habe ich dir gesagt, dass ich dir gern zuhöre, wenn du dich aussprechen willst. Es muss dir etwas Schreckliches zugestoßen sein im Orient."
"Und ich antwortete dir damals, ich würde dieses Gespräch gern auf ein andermal verlegen."
"Richtig. Wie wäre es also heute?" schlug Thomas vor.
Lucas zuckte mit den Schultern. "Warum eigentlich nicht? Ich kann dir ruhig alles erzählen."
"Du bist auf Jeffrey getroffen bei deinen Reisen, nehme ich an."
"Ja, in Marseille", bestätigte Lucas. "Ich wollte mich nach Alexandria einschiffen und von dort weiter Richtung Indien. Jeffreys Kahn lag im Hafen vor Anker, und so trafen wir aufeinander. Eines Nachts versuchte jemand, mich umzubringen. Ich entging dem Anschlag nur knapp." Lucas Stimme zitterte bei der Erinnerung, die er lieber für immer vergessen
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