Stuermischer Zauber
der Feuerstelle und verharrte, als sie das Porträt erblickte, das über dem Kaminsims hing. Es war ein Ölgemälde von Isabel und Adam Macrae. Der Kupferstich, den Gwynne einmal von dem Paar gesehen hatte, war im Vergleich zu diesem Gemälde blass und leblos gewesen.
Sie trat vor und studierte das Porträt genauer. Isabel de Cortes war während ihrer Kindheit ihre Heldin gewesen. Und sie war es auch heute noch.
Für ein Kind, das nur väterlicherseits Wächterblut in sich trug und keine Macht besaß, musste Isabel einfach das strahlende Vorbild dessen sein, was eine Frau sein konnte. Mit wilder Magie begabt, hatte es unter ihren Vorfahren keine Wächter gegeben, und sie war von einer weltlichen Familie aufgezogen worden, die sie zwar geliebt, aber nicht verstanden hatte, was mit dem Kind los war. Als Schülerin von John Dee, dem Zauberer Königin Elizabeths, wurde Isabel aufgrund ihrer erbitterten Entschlossenheit und Disziplin zu einer der besten Magierinnen ihrer Zeit. Gwynne hatte es immer als eine Ironie des Schicksals empfunden, selbst so anders als Isabel zu sein: Gwynne hatten alle Vorteile der Wächterwelt offen gestanden, doch sie hatte nie über eine angeborene Gabe verfügt.
Auf dem Bild waren die beiden in mittleren Jahren. Adams dunkles Haar war an den Schläfen ergraut. Neben ihm war ein offenes Fenster zu sehen, das den aufgewühlten, schottischen Himmel als Zeichen seiner Meisterschaft als Wettermagier zeigte. Unter seinem elisabethanischen Bart ähnelten seine Gesichtszüge den Zügen Duncans. Die reinrassigen Macraes. Seine Hand ruhte auf dem Kopf eines großen Hundes, der den Hunden ähnelte, die sie in der Festung gesehen hatte. Offensichtlich waren es nicht nur die Menschen, die ihre inneren und äußeren Eigenschaften weitergaben.
Doch am meisten erregte Isabel Gwynnes Aufmerksamkeit. Sie war keine Schönheit gewesen. Ihr dunkles Gesicht war zu schmal und exotisch unenglisch, die Gesichtszüge zu knochig. Doch die Intelligenz und der Humor in ihrem Blick waren lebhaft und fesselnd. Auf ihrem Schoß saß eine riesige getigerte Katze, und in der rechten Hand hielt sie den berühmten Wahrsagespiegel aus Obsidian.
Letzte Nacht hatte Gwynne Isabels Energie in ihrem Rubinring gespürt, und heute sah sie Isabels Gesicht. Deshalb war ihre Heldin für sie nun lebendiger als je zuvor.
Neugierig schaute sie sich um. Was hatte sie noch übersehen, während sie schnurstracks die Bücher angesteuert hatte? Eine Sammlung Miniaturbilder hing hinter dem breiten Schreibtisch an der Wand. Sie konnte keine der porträtierten Personen identifizieren, obwohl die Männer allesamt zweifellos Macraes waren.
Der Kleidungsstil ließ sie vermuten, welche der Frauen wohl Duncans und Jeans Mutter war. Sie hatte ein liebevolles, aber rätselhaftes Lächeln. Die letzte Lady of Dunrath, die vor sechs Jahren gestorben war, war eine Macleod von der Isle of Skye gewesen. Tatsächlich war sie die Schwester des Ratsmitglieds Sir Ian Macleod. Sie hatten die gleichen nebelgrauen Augen.
Als Nächstes untersuchte Gwynne eine Vitrine voller Kuriositäten, die aus allen Teilen der Welt stammten. Die Drachenfigur war bestimmt chinesisch. Es gab eine Maske, von der sie nur vermuten konnte, dass sie aus Asien stammte. Vielleicht aus Niederländisch-Ostindien. Es gab einen silbernen Kasten, der wie ein spiralförmiger Turm aussah. Vielleicht kam er aus Spanien oder Italien. Andere Objekte waren schlechter zuzuordnen, aber ihnen allen war ein schwaches, magisches Glühen gemeinsam.
Sie kniete sich hin, um die unteren Regalböden zu untersuchen, und hielt den Atem an, als sie etwas sah, das Lady Isabels Wahrsagespiegel sein musste. Duncan hatte ihr erzählt, er gehöre zu den Schätzen von Dunrath, obwohl der Obsidian nach Isabels Tod stumpf geworden war. Die Scheibe saß auf einem gepolsterten Samtbeutel, und der rauchschwarze Stein gab keinen Hinweis auf seine immense Bedeutung.
Sicher würde es niemanden stören, wenn die neue Herrin den Stein berührte. Ehrfürchtig öffnete Gwynne die Glastür. Sie hoffte, Isabels Energie noch stärker zu spüren als in dem Ring, bei dem andere Energien Isabels überlagerten.
Sie holte den Obsidian aus dem Schrank. Der durchsichtige Stein fühlte sich in ihrer Handfläche kalt an – und warf sie mit einer überraschenden Wucht nach hinten: Gwynne landete auf dem Boden.
Ihr Herz pochte, und einen Moment wurde es schwarz um sie. Doch als sie ihre verwirrten Sinne wieder sammelte, stellte sie
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