Stumme Angst (German Edition)
mal sein Name steht darin, bloß die Gedanken einer jungen Frau, für die alle Tage gleich sind. Am Morgen das Frühstück, der Weg zur Schule auf dem Fahrrad: Papa begleitet mich. Der Unterricht, der Pausenhof in klirrender Kälte.
Man kann froh sein, schreibe ich, wenn man nicht draußen sein muss. Den Wind nicht spüren muss, wie er durch alle Stoffritzen dringt. Jakob wird verstehen: Hätte er sich noch länger im Wald versteckt, wäre er gestorben.
Ich berichte vom Unterricht; sicher möchte Jakob wissen, welche Bücher wir lesen. Schiller, schreibe ich. Immer wieder Schiller. Das würdest du auch langweilig finden.
Von meiner Sorge schreibe ich nichts. Schließlich kam meine letzte Periode zu früh. Alles geriet durcheinander wegen Heinrich, Arnold und Severin. Warum nicht auch mit Jakob?
16. November 1941
Nichts! Kein Blut in der Wäsche, bloß ein Ziehen im Bauch, als ob etwas kommen würde. Morgens bekomme ich keinen Bissen runter.
Papa betrachtet mich im Schein der Lampe, ich würde blass aussehen, behauptet er.
In der Schule spricht Herr Klaus mich im leeren Klassenzimmer an: Keine Briefe mehr, Ida! Ich müsste verstehen: Er riskiere Kopf und Kragen! Jakob gehe es gut – ich soll mir keine Gedanken machen. Er würde ihn sogar ein bisschen unterrichten: Geschichte, Latein, Literatur. Abends würden sie gemeinsam vor dem Ofen sitzen.
Ich schreibe Jakob trotzdem. Lauter Briefe, die ich nicht abschicke, ich lege sie zwischen die Seiten meines Tagebuches – richtige kitschige Liebesbriefe sind es.
Was mache ich nur, wenn meine Periode nicht kommt?
19. November 1941
Natürlich weiß ich, dass es nur eine Möglichkeit gibt.
Ich kann es nicht wegmachen lassen – ich wüsste auch gar nicht, wie, ich wüsste nicht, wo.
Ich würde es wegmachen lassen, wäre es von Heinrich, Arnold oder Severin. Doch das kann nicht sein! Ich hatte ja Blutungen, nachdem es geschah.
Heinrich. Allein die Vorstellung, zu ihm zu gehen! An seiner Haustüre zu schellen, in das Gesicht seiner scheuen Mutter zu blicken.
Ida, wird sie ausrufen, wie lange habe ich dich nicht gesehen!
Dabei hasse ich Heinrich, ich hasse ihn so!
Wie konnte er, was hat er sich nur gedacht? Dieser Schmerz, unvorstellbar war er gewesen!
Was wird Jakob nur denken, wenn ich zu Heinrich gehe? Was soll ich nur tun?
Heinrich wird nicht wollen, dass ich es wegmachen lasse. Er wird denken, es ist von ihm. Schließlich war er der Erste.
Und nach dem Abitur wird er zur Wehrmacht gehen, danach in den Krieg. Ich werde ihn kaum sehen, könnte wieder bei Papa wohnen. Alles wäre so wie immer. Nur ein Kind wäre noch da, Jakobs Kind.
Und vielleicht wird Heinrich fallen. Er und Arnold und Severin. Eine Kugel sollen sie in den Kopf bekommen, die großen arischen Männer!
25. November 1941
Natürlich habe ich Angst, dass er mich nicht nehmen wird. Was soll ich dann machen?
Aber das ist Unsinn, Ida. Du weißt genau, wie es ist. Dass er dich schon immer so angeschaut hat, schon seitdem ihr Kinder seid, hat er die Hand nach dir ausgestreckt.
Ich frage mich, was ihn so verändert hat. Was ihn so jähzornig gemacht hat. Es wäre leicht zu sagen, da wäre nie diese stille Wut in ihm gewesen. Manche Menschen haben zwei Gesichter: ein sanftes und eines, das hässlich ist. In der HJ: Da hat er schreien gelernt. Da kann er etwas sein. Nicht so wie zu Hause, wo er der jüngste Bub ist. Wo er die Faust seines Vaters kennt.
Papa weiß nichts. Ich muss erst mit Heinrich sprechen.
27. November 1941
Heinrichs Haus in der Abenddämmerung. Ruhig hat es dagelegen; ein einfaches Haus ist es, mit Menschen darin, die etwas sein wollen.
Heinrichs Vater hat einen strengen Schnurrbart, von ihm kennt er die Faust. Sechs Kinder sind es zu Hause: Jonas, der Älteste, im Krieg an der Westfront. Dann Anselm, Friedrich, Heinrich. Zuletzt die beiden Mädchen, die nichts wert sind.
Das Mutterschaftskreuz hängt in der Küche: der ganze Stolz der Familie. Der Vater ist von Beruf Schuhmacher – sie hatten nie viel, die Möllers. Jetzt macht er Militärstiefel für die Nazis. Stellt immer mehr Lehrlinge ein und verdient einen Haufen Geld.
Ich klingelte und war froh, dass die Sonne schon fast untergegangen war. Auf mein Gesicht sollten bloß noch Schatten fallen, man sollte nicht sehen, dass ich geheult hatte.
Die Jüngste öffnete, Else. Ihr Gesicht ist pausbäckig wie das eines Babys. Sie werden sich Fleisch leisten können, die Möllers.
»Ida! Da wird sich der Heinrich aber
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