Stummer Zorn
das erste Mal seit dem Besuch beim Arzt, daß ich etwas gesagt hatte. „Ja", sagte er. „Vielleicht auch noch mehr. Manche Frauen rufen uns nicht, wissen Sie."
„Ist es der gleiche Vergewaltiger?"
„Nachdem wir ein bißchen mehr mit ihnen gesprochen haben, werden wir mehr wissen. Oh — wir werden nachher auch ihren Bademantel benötigen, Miss Callahan. Tut mir leid."
Das war mir recht. Ich wollte ihn nie wieder sehen, sobald diese Nacht vorbei war.
Sie hatten bisher nur wenige kurze Fragen gestellt, die nur darauf abzielten zu ermitteln, wie nah der Vergewaltiger sich noch in der Umgebung des Hauses aufhalten mochte.
Sie hatten sofort entschieden, der Arztbesuch müsse an erster Stelle stehen.
Mimi verließ den Raum. Ich blickte zu den Kriminalbeamten auf dem gegenüberliegenden Sofa. Andere Polizisten kamen, um im Flüsterton Bericht zu erstatten.
Dann war Mimi zurück an meiner Seite, hielt ein Glas Wasser und eine Handvoll Tabletten in der Hand. „Du mußt die nehmen", nagte sie.
„Wozu?"
„Ähm, für den Fall, daß er eine Krankheit hatte", sagte Mimi tief unglücklich.
„Dr. Cole sagte, ich solle sichergehen, daß du sie bald nimmst."
Ich hatte den Arzt in einer sehr knappen Unterredung darüber Informiert, daß ich von dem Überfall nicht schwanger werden würde. Ich nahm die Pille. Schon der Gedanke daran, schwanger zu werden, hatte mich mit einem solchen Ekel erfüllt, daß ich mich fast übergeben hatte. Jetzt mußte ich sichergehen, nicht infiziert worden zu sein. Ich nahm zwei Pillen von Mimi, schluckte sie, trank, und schüttelte mich. Dann noch zwei, jedes Mal, wenn ich glaubte, es hinter mir zu haben, gab mir Mimi zwei weitere. Wahrend ich schluckte und mich schüttelte, begannen die Beamten, mich in ganz neutralem Tonfall zu befragen. Ich war dankbar für diese Forschheit; sie half verhindern, daß ich zusammenbrach.
Schlagartig kam ich zu Bewußtsein. Wenn es möglich war, in einen Zustand der Besinnungslosigkeit zu geraten und zu reden, hatte ich mich in ihm befunden. Ich konnte mich an die Unterredung mit Mimis Arzt erinnern, aber nicht an sein Gesicht oder sein Büro, außer der Uhr an der Wand. Ich starrte die beiden Kriminalbeamten an und sah sie zum ersten Mal als Individuen.
Ich beobachtete, daß sie unterschiedliche Gesichter hatten. Sie waren nicht austauschbar, wie ich noch vor Minuten geschworen hätte.
„Wie heißen Sie?"
Sie schauten überrascht und warfen einander einen Blick zu.
„Tendall", sagte der Grauhaarige,
„Markowitz", sagte der massigere Mann mit dem braunen Haar.
Sie warteten darauf, daß ich ihnen erklärte, warum ich gefragt hatte oder ihnen irgendeinen dahingehenden Hinweis gab. Sie beäugten mich mißtrauisch; sie waren nicht sicher, was ich als nächstes tun würde.
„Er nannte mich Nickie", sagte ich. „Er kennt mich."
Ich mußte ihnen alles erzählen: jedes Wort, jede Handlung, und ich mußte sehr an mich halten, um es zu überstehen.
„Ich stehe das durch", versicherte ich Mimi zusammenhanglos. „Ich habe das überlebt. Ich halte das aus."
Dann begann meine Wahrnehmung wieder zu verschwimmen. Es war wie ein Erwachen aus der Narkose, um gleich wieder wegzudämmern. Irgendwann wurde mir klar, daß die Pillen aufgebraucht waren und das Wasserglas leer war. Ich mußte die Einnahme der Kapseln überstanden haben. Ich nahm Mimis Hand. Bis sie nach Luft rang, bemerkte ich nicht, daß ich sie mit unerträglicher Kraft umklammert hatte. Als die Beamten gerade dabei waren, mir die heikelsten Fragen zu stellen („Hatte er — äh - einen Orgasmus?"), hörte ich ein beunruhigendes, störendes Geräusch. Ich sah mich irritiert um, auf der Suche nach seiner Quelle. Es war Mimi: Sie weinte.
Ich wollte nicht weinen. Ich würde niemals weinen ...
Ich ging wieder auf Tauchstation und kam erst wieder zu mir, als eine Tür zuschlug. Mimi stand vor mir, und das Haus wat leer. Ich trug einen anderen Bademantel.
„Wie spät ist es?"
„Sechs", antwortete sie. „Die Polizisten sind alle weg. Sie haben mich gebeten dich morgen - heute - nachmittag aufs Polizeirevier zu bringen, um Fotos zu machen."
„Fotos?"
„Von deinen Blutergüssen und Rißwunden."
Ich begann zu lachen. Ich war jahrelang meiner Schönheit wegen fotografiert worden. Jetzt würde man mich wegen meinet Blutergüsse und Rißwunden fotografieren. „Wieviel zahlen sie pro Stunde?" keuchte ich.
Mimi brach auf dem Sofa neben mir zusammen und begann auch zu lachen. Dann begann sie
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