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Stummer Zorn

Stummer Zorn

Titel: Stummer Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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den Schrank. Mein Bademantel, mein Winterbademantel, der lange, der bis zum Hals schloß, der einen Gürtel hatte, den ich fest zuziehen konnte; das war es, was ich wollte. Ich brauchte lange, um diesen Bademantel zu finden und ihn anzuziehen. Ich mußte mich ausruhen, ehe ich mich in den Flur aufmachte. Wenn meine Knie nur endlich aufhören würden zu zittern; kommt schon, bitte, Beine.
    Vergewaltigt. Oh großer Gott, vergewaltigt.
    Ich hatte die Tür zum Flur offengelassen, als ich ins Bett gegangen war. Sie war jetzt geschlossen. Ich öffnete sie unter erheblicher Anstrengung. Sie ging leise auf und enthüllte die Dunkelheit der Treppen und des Flurs.
    Ich fragte mich, ob Mimi noch am Leben war.
    Der Schrecken begann von neuem. Meine Hand fand wie von selbst einen Lichtschalter und legte ihn um. Die Treppe war schlagartig hell erleuchtet.
    Attila kauerte wild dreinblickend und erfüllt von Panik auf dem Absatz. Sein Schwanz zuckte, während er auf mich herabblickte. Ich konnte die Treppe nicht hinaufgehen; ich versuchte, den Fuß zur ersten Stufe zu heben und scheiterte.
    „Mimi", flüsterte ich. Lauter, Nick, sagte ich mir.
    „Mimi", sagte ich schwach mit einer Stimme, die ich nicht als die meine erkannte. Ich fühlte, wie mit Flüssigkeit den Schenkel hinabrann. Ich würgte.
    Dann schrie ich: „Mimi!"
    Ein unbestimmtes Geräusch oben. Dann eine ganze Reihe kleiner dumpfer Laute, eine Tür wurde geöffnet. Attila wandte den wirren Blick nach oben.
    Lebend und unverletzt erschien Mimi am Kopf der Treppe, während sie sich ihren Bademantel zuknöpfte. Sie hielt auf dem Absatz Inne, als sie mich sah. Ich starrte zu ihr hinauf.
    „Oh nein", flüsterte sie. Sie hob die Hände vor den Mund. „Nicht - oh, Nickie. Nicht du."
    Die Tränen, die sich den Weg über ihre Wangen bahnten, liefen über ihre Hände. Sie zuckte zusammen, als sie die Nässe fühlte, ließ die Hände sinken, um das Treppengeländer zu fassen und schlich sich daran entlanghangelnd wie eine gelähmte alte Frau die Treppe zu mir herunter. Als sie auf meiner Höhe war, sah sie mir ins Gesicht, in die  Augen und erschauderte. Ich spütte nichts, gar nichts. Ich wußte, daß das bald aufhören würde, und bis dahin gab es viel zu tun.
    „Ruf die Polizei", murmelte ich. Irgend etwas stimmte mit meinem Mund nicht. Meine Knie gaben nach, und ich setzte mich auf die Treppe. „Ruf sie sofort an."
    Sie ging an mir vorbei. Die Katze strich beunruhigt von all den Anomalitäten um ihre Fersen und wollte hinaus. Weg. Ich kauerte nah am Treppengeländer, verschränkte die Atme über der Brust, zog den Bademantel enger um mich. Ich spürte, wie mir Blut über die Wange lief und konnte — wollte — keinen Finger heben, um es aufzuhalten. Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf die Eingangstür, die mir auf der anderen Seite des Wohnzimmers direkt gegenüberlag. Mir graute vor dem unbekannten Prozedere, das jeden Moment in Gang kommen würde; mir graute vor den Fragen; mir graute vor allem vor den Blicken.
    Aber mein Haß kam seinem gleich. Egal was es mich kosten würde, ich würde alles ertragen, um den Mann zu fassen, der mit das angetan hatte. Ehe der Schmerz meine Gedanken vernebelte, begriff ich mit furchterregender Klarheit, daß nichts, was ich je in meinem Leben getan hatte — nichts - die Strafe rechtfertigen konnte, die mir auferlegt worden war.
    Es schadete nicht, daß das Haus, in dem ich lebte, Mimi Houghton gehörte, daß ich weiß war und sichtbare Verletzungen vorzuzeigen hatte. Dennoch überraschte mich die Polizei von Knolls. Sie war weder ahnungslos noch ineffizient. Das erste Auto kam zwei Minuten nach Mimis Anruf. Es waren Streifenpolizisten. Nach knapper Erkundigung, ob ich einen Krankenwagen benötigte, begannen sie, das Haus und die Wohngegend abzusuchen. Dann kamen die Kriminalbeamten, zwei ernste Männer mittleren Alters in sportlichen Anzügen mit Gesichtern wie Straßenkarten einer unschönen Gegend.
    Sie führten irgendein Gespräch mit Mimi, und sie verschwand in meinem Schlafzimmer. Als sie wiederkam, kauerte sie sich vor mich und nahm meine Hände.
    „Komm für einen Augenblick mit. Kannst du aufstehen?"
    Irritiert, aber nicht bekümmert genug, um irgendwelche Fragen zu stellen, ließ ich mich von ihr zu dem leeren Zimmer führen, das meinem gegenüber lag. Sie hatte Unterwäsche in einer Tasche des Bademantels zusammengeknäuelt.
    „Süße, du mußt das anziehen, ja? Sie werden sie behalten und ins Labor schicken

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