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Stummer Zorn

Stummer Zorn

Titel: Stummer Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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zu weinen. Ich schaute ihr neugierig zu, die Beine gewissenhaft nebeneinander gestellt, die Hände ordentlich in meinem Schoß gefaltet. „Ich werde niemals weinen", sagte ich zu Ihr.
    Klugerweise antwortete Mimi nicht. „Du wirst in meinem Zimmer schlafen", sagte sie zu mir.
    Der Gedanke daran, schlafen zu gehen, wieder verwundbar zu sein, ließ mich erschauern. Ich zitterte seit dem Augenblick, als ich vor Stunden aus meinem Bett gekrochen wat, aber jetzt wurde ich von heftigen Muskelkrämpfen geschüttelt. „Ich kann nicht hochgehen", tagte ich hilflos.
    Mimi sah aus, als sei sie am Ende ihrer Kräfte. „Meinst du, du kannst auf diesem Sofa schlafen?" schlug sie schließlich vor.
    „Nicht allein, ich kann nicht allein sein." Schon der Gedanke verstärkte das Schaudern. Ich wollte unbedingt baden, sauber sein, sogar mehr noch, als ich mich ausruhen wollte. Sobald mir der Gedanke in den Sinn gekommen war, wußte ich, daß ich nicht schlafen können würde, ehe ich den Schmutz von mir gewaschen hatte, den Dreck, den er zurückgelassen hatte. „Ich muß baden", erklärte ich Mimi.
    „Ich helfe dir", sagte sie mit augenblicklichem Verständnis.
    „Wir werden abet dein Bad benutzen müssen."
    Das bedeutete, mein Schlafzimmer zu durchqueren, um dorthin zu gelangen. „Das schaffe ich", nuschelte ich. Es fiel mir immer schwerer, deutlich zu sprechen. Ich wußte, daß es Mimi schwerfiel mich auch nur ansatzweise zu verstehen.
    „Gut, auf geht's", sagte sie bekräftigend. Sie legte den Arm um mich, um mir beim Aufstehen zu helfen.
    Ich sah die völlige Erschöpfung, die ihr ins Gesicht geschrieben stand. „Tut mir leid, Mimi", flüsterte ich.
    „Halt die Klappe", sagte sie. „Ich kann nicht mehr weinen."
    Ich hielt mein Gesicht vom Spiegel über dem Waschbecken abgewandt.
    Wir hievten mich in die Badewanne, eine Wanne gefüllt mit dem heißesten Wasser, das ich aushalten konnte. Mir war nicht klar gewesen, wie viele Rißwunden ich hatte, bis ich mich ins Wasser sinken ließ. Ich wurde mir dessen völlig bewußt, als ich ganz untertauchte. Ich zischte wegen des Schmerzes. Aber mein Gott, es war ein Segen, mich zu reinigen. Ich tunkte den Kopf in die Wanne, weil das der einfachste Weg war, mein Haar zu waschen. Das Wasser wurde vom wiederholten Einschäumen so seifig, daß Mimi zu guter Letzt das Wasser ablaufen ließ und die Dusche anmachte, um mich abzuspülen.
    Nach dem Baden war ich ruhiger. Ich fühlte mich innerlich und äußerlich sauberer; vielleicht war ein winziges bißchen von dem, was ich durchgemacht hatte, weggewaschen worden. Einige meiner Schnitte waren im Wasser wieder aufgegangen. Mimi verband sie. Dann fand sie mein Nachthemd und half mir, es anzuziehen. Es war lange her, daß ich das letzte Mal eines getragen hatte, und ich wußte nur, wo es war, weil ich es erst vor so kurzer Zeit ausgepackt hatte. Mimi schaute etwas überrascht, als ich danach fragte.
    „Ich werde nie mehr nackt schlafen", sagte ich rundheraus. „Ich weiß nicht, wieviel davon an mir haftenbleiben wird, aber das ist eines der Dinge, von denen ich sicher weiß, daß ich sie nie wieder tun werde."
    Endlich, endlich war ich bereit, mich auf dem Sofa auszustrecken, während Mimi sich auf dem gegenüberliegenden ausbreitete. Es war hellichter Tag. Autos fuhren auf der Straße. Die Welt war nach dem Tod der Nacht wieder zum Leben erwacht.
    Als ich den Kopf auf das Kissen legte, wußte ich, daß ich nicht würde schlafen können. Ich würde Mimi zuliebe so tun, da sie offensichtlich am Ende ihrer Kräfte war. Ich würde über uns wachen.
    Im nächsten Augenblick war ich eingeschlafen.
    Als ich erwachte, stand ein Mann über mir. Ich holte tief Luft, um zu schreien.
    „Es ist alles in Ordnung, Nickie", sage Cully eindringlich. Er kniete neben der Couch. „Es ist alles in Ordnung. Ich bin es."
    Nach einem Augenblick beruhigte sich mein Puls, mein Atmen wurde flacher. „Es geht mir gleich besser", flüsterte ich. Wir warteten.
    Anhand der Schräge der Sonnenstrahlen, die auf den Boden fielen, sah ich, daß es Nachmittag war. Cully trug Jeans. Ich fragte mich, warum er keinen Anzug anhatte und begriff dann, daß Samstag war. Ich kam mir in meinem zerknitterten Nachthemd liederlich vor. Ich wickelte die dünne Decke so fest um mich, wie ich konnte und schwang die Beine von der Couch, um aufzustehen. Scharf sog ich die Luft ein. Bewegung brachte Schmerz. Ich starrte auf eine in der Luft tanzende Staubflocke, bis ich mich daran

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