Stummer Zorn
nachdachte, wurde mir klar, daß ich viele Männer mit unterschiedlichen Graden an Kahlheit getroffen hatte, seit ich wieder in Knolls war. Barbaras Ex-Freund Stan, Theo. Ich erkannte, daß ich Barbara ihre Unterredung mit Jeff Simmons hätte ersparen können, jetzt, da ich mir seine üppige blonde Haarpracht vor Augen führte. Ich mußte lachen, als ich mir den ehrwürdigen Jeff Simmons im dreiteiligen Anzug durch den Park von Houghton schleichend vorstellte. Wir hatten ihn tatsächlich verdächtigt! Ich holte mich schlagartig auf den Boden der Tatsachen zurück und knallte mir mental selbst eine. Wie konnte ich lachen?
Ich konnte lachen. Ich gab mir die Erlaubnis. Meine Zuständigkeit war beendet. Ich hatte alles Menschenmögliche getan, um bei der Festnahme des Mannes zu helfen, der mich angegriffen und Alicia getötet hatte. Die PoJizei würde nicht nach unserer Liste vorgehen. Sie wollte Fakten, und ich hatte den letzten Fakt, den ich in mir hatte, ausgebuddelt. Sie kannten die Blutgruppe. Sie wußten von der Kahlheit. Sie hatten uns zugehört, als wir ihnen erzählten, daß der Vergewaltiger uns kannte.
Ich schwor, daß meine Beteiligung an dieser Sache vorbei war. Die mir zugewiesene Rolle war die des Opfers. Ich war das beste Opfer gewesen, das ich sein konnte. Ich hatte es gründlich satt, ein Opfer zu sein. Ich legte meinen Schmerz ab, kroch aus dem Sumpf des Verdachtes und Zweifels heraus. Ich würde mich nicht länger damit abquälen.
Ich schloß eine längliche, schmale Schublade in meinem Inneren. Der Körper, den sie beinhaltete, war nicht tot; aber ich schlug die Schublade mit meiner eigenen Sorte von Schonungslosigkeit zu. Vielleicht würde er ersticken.
Am nächsten Tag, dem Tag der Party, summte ich den ganzen Nachmittag im Bad vor mich hin und tat Dinge, die ich seit meiner Ankunft in Knolls nicht mehr getan hatte. Gesichtsmasken, Cremes, das gesamte Make-up-Arsenal, das ich nie wieder hatte benutzen wollen - all das kam aus seinen Schachteln und Tuben, die ich weit hinten in meine Frisierkommode verbannt hatte.
Nachdem ich sie aufgelegt hatte, war mir, als lege sich ein kühler Glanz über mich, der Glanz, den ich in der Stadt wie eine Rüstung getragen hatte. Er paßte mir nicht mehr so gut wie zuvor. Aber noch konnte ich ihn tragen. Die New Yorker Nickie hatte ihre Vorteile gehabt. Sie hatte diese wunderbare Aura der Sicherheit umgeben, von der die meisten Leute nicht einmal wissen, daß sie sie haben, bis sie sie verlieren. Sie war kein Opfer gewesen.
Zum ersten Mal seit Wochen sah ich mir mein Gesicht bewußt im Spiegel an. An diesem Tag schien es mir wichtig, vielleicht sogar das Wichtigste an mir. Ich sah mir jede Pote, jede entstehende Falte an, wie ich es einst täglich getan hatte. Ich machte meine Gymnastik, die ich in jüngerer Vergangenheit auch vernachlässigt hatte. Danach hatte ich Muskelkater. Cully, der Jogger, wäre stolz auf mich gewesen.
Ich erinnerte mich an all die warnenden Geschichten, die ich darüber gehört hatte, was geschah, wenn man dieses tägliche Training und seine Gymnastik bleibenließ. Ich hörte noch, wie eine Freundin (ebenfalls ein Model) entsetzt betichtete, was einer Kollegin von uns passiert war, die Monate zuvor geheiratet hatte; aus unerklärlichen Gründen hatte sie einen Bauern aus dem Norden des Staates New York geehelicht. „Innerhalb einiger Wochen, Nickie, einiger weniger Wochen, hat sie ihre gesamte Körperspannung verloren", hatte Cicely mir voller Entrüstung und Angst erklärt.
Verlorene Körperspannung, gute Güte. Ein schlimmeres Schicksal als der Tod. Ich kicherte in den Spiegel und machte weiter.
Durch die Badezimmerwand hörte ich den Knall, mit dem Mimi in der Küche die Backofen klappe öffnete. Sie hatte vergessen, Maisbrot für die Füllung herzustellen und zögerte, es die ganze Nacht in det Küche liegenzulassen, damit es altbacken werden konnte, weil Mao und Attila in der Vergangenheit schon ihre Vorliebe für Maisbrot unter Beweis gestellt hatten.
Cully war ins College gegangen, um Papierkram abzuarbeiten. Die meisten Studenten waten am Vortag nach Hause gefahren. Seine Sekretärin war daheim und bereitete ebenfalls die Füllung zu. Als ich ihn gefragt hatte, ob er sich so allein im leeren Psychotogiegebäude nicht unwohl fühlen würde, hatte er gesagt, er freue sich auf die Stille und Ruhe. Er hatte mich ziemlich seltsam angesehen. Natürlich kannte er als Mann keine Angst, Er mußte auch keine haben.
Ich zwang mich,
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