Stunde der Klesh
fleckigen Haut geschnitten waren und von Stricken an ihrem Platz gehalten wurden. Sie hatten offensichtlich keine Anführer und auch keine natürliche Kampfordnung. Aber sie kamen immer näher. Jetzt waren sie nur noch ein paar Meter entfernt, und Meure war sich sicher, daß alle sie entdeckt hatten.
Clellendol hatte sich erhoben, war ein paar Schritte den Hang hinaufgestiegen und sah ihnen entgegen. In der Hand hielt er eine dünne Schlinge. Meure war ebenfalls aufgestanden, hielt seinen Felssplitter umklammert und dachte an gar nichts. Die beiden Spsomi hatten sich zu ihrer vollen Höhe aufgerichtet, beide hatten Messer in der Faust. Niemand bewegte sich. Kein Wort fiel.
Die ersten in der Menge, die sich den Felsabhang heraufarbeitete, hielten nun inne und musterten sorgfältig die Szene, die sich ihnen bot. Meure glaubte fast ihre Gedanken lesen zu können: Wie viele mögen sich noch in den Felsen versteckt halten? Ist der Ort für einen Angriff nicht zu schlecht geeignet? Über welche unbekannten Kräfte mögen die drei fremden Wesen verfügen? Wer von ihnen konnte schon wissen, wozu ein Spsom fähig war? Die vorderste Reihe der Menschen rückte vorsichtig langsam weiter vor. Wenn sie auch jetzt völlig still waren, ging von ihnen doch eine fremdartige Wildheit aus. Haßerfüllte Blicke aus vielen Augen trafen ihn. Meure dachte: Jetzt ist es soweit.
Im Rücken der Vorhut gab es ein Gedränge, da dort immer neue Wellen der erregten Wesen eintrafen. Diejenigen aber, die ganz vorn standen und abschätzend die Gruppe der Überlebenden einen nach dem anderen gemustert hatten, schienen nun durch diese hindurchzusehen, dann blickten sie einander an. Das wilde Leuchten in ihren Augen verglomm, wich Überraschung und Zweifel, dann unverhüllter Furcht und Entsetzen. Geflüsterte Botschaften huschten durch die Reihen, sehr leise, so als ob die Menschenmasse irgend etwas um keinen Preis aufschrecken wollte. Die Vorwärtsbewegung am Fuß des Hanges war zum Stillstand gekommen, und die Vorhut begann sich zögernd zurückzuziehen, wobei sie die Spitze des Felshügels nicht aus den Augen ließ. Langsam und äußerst vorsichtig setzte sich die ganze Menge rückwärts in Bewegung. Meure sah, daß sich sogar am anderen Ende der Senke die Menschen nach Osten davonmachten. Nicht in Panik oder in großer Hast, aber unter ständigem Umblicken.
Meure entspannte sich und atmete aus. Ihm fiel auf, daß er sich nicht erinnern konnte, wann er zuletzt geatmet hatte. Etwas hatte die Wesen zur Umkehr bewogen, aber er konnte sich nicht vorstellen, daß es der Anblick der Spsomi gewesen war. Sie sahen zwar fremdartig aus, aber es waren ja nur zwei, und sie waren eindeutig nur mit Messern bewaffnet. Er sah den Hang hinunter, der zurückweichenden Menge nach, die sich immer schneller zurückzog. Er warf Audiart einen Blick zu. Sie verhielt sich noch immer völlig reglos, ihr Gesicht war eine ausdruckslose Maske. Dann schien sie seinen Blick zu spüren und drehte den Kopf, um ihm zu begegnen. Beide wollten wissen, was diesen Mob zur Umkehr bewegt hatte, und sie sahen gemeinsam hangaufwärts.
Das Blut in Meures Venen gefror zu Eis. Zwischen den Felsen hinter den Spsomi standen – völlig reglos – drei hochaufragende Gestalten. Sie trugen Kapuzenumhänge, die sie von Kopf bis Fuß einhüllten. Was für Körper sich unter den Gewändern verbergen mochten, konnte Meure nicht sagen, aber von den Gesichtern war immerhin so viel zu erkennen, daß man die Gestalten als Menschen identifizieren konnte. Alle drei hielten lange Speere; die Schneiden der schlanken Spitzen blitzten in der Sonne. Zwar lagen die Gesichter im Schatten der Kapuzen, aber was er davon sah, fand Meure furchterregender als die Gesichter, die er zuvor auf dem Hang erblickt hatte. Alle drei hatten ein schmales, hohlwangiges Antlitz, das von einer großen, scharfrückigen Nase beherrscht wurde. Dichte, haarige Brauen beschatteten tiefliegende Augen, die so dunkel waren wie die Finsternis selbst.
Zwei verharrten in derselben unbewegten Pose und blickten starr nach Osten mit einem ausdruckslosen Fernblick, den nichts in der Nähe zu interessieren schien. Der dritte ignorierte die gemischte Gruppe in den Felsen ebenfalls und glitt in fließenden Bewegungen um sie herum, um zu einer Stelle zu gelangen, von der aus er die Menge besser beobachten konnte, die sich eben anschickte, die Senke zu verlassen. Dann trat dieser dritte Neuankömmling ein paar Schritte auf den Hang hinaus, wo er
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