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Stunde der Klesh

Stunde der Klesh

Titel: Stunde der Klesh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. A. Foster
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über ihm auf, jetzt drehte es sich in seine Richtung, um ihn besser wahrnehmen zu können. Meure spürte ein leichtes Prickeln auf der Haut, eine Vibration; das Facettenauge begann zu pulsieren, in seinem Inneren glühte ein rotes Licht auf. Meures Gesicht wurde heiß. Das Licht verglomm, und das Wesen hielt in seiner Bewegung inne, als es ihm genau gegenüberstand. Es war jetzt so nahe herangekommen, daß er es atmen hören konnte: ein seufzendes, raschelndes Geräusch, das von irgendwo unterhalb der Flügel kam. Auch seinen Geruch konnte er jetzt ausmachen, ein Gemisch, das zugleich stechend und modrig roch, wie altes Fell. Wieder prickelte es auf seiner Haut, und das Tier ließ sich auf dem Boden mit dem Kopfende zuerst nieder, dem dann umständlich der rückwärtige Teil folgte. Auf dem Boden liegend, faltete es seine Flügel so, wie die anderen es zuvor getan hatten. Nun erst schwang Tenguft ihr langes, schlankes Bein über den Rücken des Tieres und ließ sich auf den Boden gleiten, wo der Jäger sie schon mit dem Umhang erwartete. Mit einer sparsamen Bewegung warf sie ihn über und gesellte sich zu den anderen Haydars.
    Neben Meure rührte sich etwas: Clellendol. Der junge Ler sagte leise: „Eine furchterregende Bestie!“
    Meure dachte kurz nach, dann fragte er: „Welche?“
    „Hm, hm. Gut gegeben … Du sollst angeblich so unschuldig sein, aber du fragst mich, welche von beiden … nun, ich würde sagen, beide.“
    Meure sagte: „Ich fürchte sie beide, diesen fliegenden Alptraum mit meinen Instinkten und sie mit meinem Verstand.“
    „Die erste Furcht kann man überwinden, man kann sie sogar zum Ansporn eines sinnvollen Verhaltens wandeln, aber die zweite … Wir haben soviel an Anstrengungen darauf verwandt, unsere instinktive Furcht zu überwinden, daß wir diese andere Angst vernachlässigten.“
    „Was mir an ihr am meisten Angst macht, ist die Möglichkeit, daß sie vielleicht noch lange nicht das Gefährlichste ist, dem ich hier auf … Aceldama begegnen werde.“
    „Du kennst das Wort?“
    „Eigentlich nicht. Ich habe nie Arkanisch studiert, weder das antike noch das neue.“
    „Es stammt aus sehr alter Zeit. Morgin der Mittler hat es mir übersetzt, es bedeutet: ‚Der Ort, an dem man die Fremden begräbt’. Es ist ein sehr traditionelles Wort, genauso wie die Wörter, die zur Benennung der Menschen beziehungsweise der Wesen menschlicher Herkunft dienen.“ Es war Meure nicht entgangen, daß Clellendol sich einer anderen Ausdrucksweise als gewöhnlich bediente.
    Clellendol fuhr fort: „Alle menschenähnlichen Lebewesen auf dieser Welt bezeichnen sie mit dem alten Wort Klesh. Alles, was bei uns als Mensch gilt, nennen sie Ksenosi, Fremde. Überdies herrscht hier der alte Konflikt, den weder mein noch dein Volk je gelöst haben; wir sind ihm nur ausgewichen.“
    „Worum geht es?“
    „In der Vorzeit stießen die Menschen, die Starmanosi, das alte Volk, in eine ökologische Lücke vor, die auf der alten Heimatwelt bestand. Sie hatten keine ebenbürtigen natürlichen Feinde. So bekämpften sie einander, nachdem eine gewisse Populationsdichte erreicht war. Dies ist ein Grundprinzip der Entwicklungsgeschichte. Auch wir Lermanosi wären eines Tages an diesen Punkt gelangt, aber wir sind unserer Bestimmung einstweilen entgangen, indem wir das Gebiet verließen …“
    Meure unterbrach ihn: „Wodurch ein Aufschub erreicht wurde, aber keine Lösung.“
    „Genau! Das Problem wurde nur in ein anderes Umfeld verlagert, in einen größeren Maßstab des Raumes und der Zeit. Für uns selbst gingen wir soweit, daß wir aus der Vermeidung innerer Konflikte einen Kult machten, der in unsere Familienstrukturen einging. Wir sind immer auf der Suche nach einem System, das es uns noch besser ermöglicht, den Außenstehenden, den Fremden, den Ler, der uns fernsteht, einzugliedern. Ihr habt einen Teil unserer Lebensgestaltung von uns geborgt und die Gleichrichtung der Bevölkerung zu einem eurer Ziele gemacht. In beiden Fällen haben diese Bemühungen gewisse Früchte getragen. Ganz anders liegt der Fall bei diesen verrückten Klesh hier: Sie sind dem Problem nicht aus dem Weg gegangen, und der interne Konflikt ist nun ihr Lebensinhalt. Selbstgefühl und Selbstbewußtsein sind hier so stark, wie du und ich es noch nie zuvor erlebt haben. Daß die Haydars uns noch nicht als ihre Beute betrachtet haben, hat darin seinen Ursprung. Sie können sich einfach nicht vorstellen, daß Unwissenheit unser Verhalten

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