Stunde der Klesh
bescheiden uns mit dem, was die Natur uns bietet, wir schränken uns ein … alles in allem sind wir gute Nachbarn. Aber“, und hier erhob er seine Stimme bedeutungsvoll, „wir lesen die Wahrheit aus den Reflexionen des Weltlichtes, wir befragen es, und wir handeln danach. Und wenn die anderen sagen, in Incana wandeln Zauberer hinter den Zinnen, dann mag es so sein wie sie sagen.
Und so haben Bedetdznatsch und ich gelesen, was sein wird. Einer wird kommen in eine einsame Dzoz, in ein ödes Land, und er, der uns gebracht wird, er wird das wagen, was wir nicht vermögen. Er wird von draußen kommen! Mittler, rede du!“
Morgin sagte: „Man muß die Geschichte Monsalvats kennen. Ein einziger hat einst versucht, den Planeten zu einen, denn er wußte, daß zuerst dies gelingen mußte, wenn wir je wieder zu unseren Brüdern im Weltraum finden wollten. Er lebte vor langer Zeit, und man gab ihm viele Namen, aber sein wirklicher Name war Cretus, der Schreiber. Er war kein Soldat, auch kein Kämpfer, aber er sah die Dinge in ihrem Zusammenhang. Er hat sein Werk an einem Ort beim großen Fluß von Kepture begonnen – diesen Ort gibt es nun schon lange nicht mehr –, vollenden wollte er es hier, in Incana, auf Cucany. Das große Vorhaben ließ sich gut an; es war sogar gelungen, die Lagostomer von ihrer unsinnigen Vermehrung abzubringen, doch dann kam das Ende. Cretus ging dahin, seine Erben gerieten in Streit, und das Reich zerfiel. Die Windvögel von Zentralincana bleiben seinem Gedenken treu, aber der Rest verstreute sich wie ein Heuschreckenschwarm im Wind. Hier also ist der Platz, wo der Schreiber seine Pläne schmiedete, arbeitete und Beratungen abhielt. Tief in den unteren Gewölben wird seine Asche aufbewahrt, ferner ein Apparat, den er benutzte. Er war der Letzte seiner Klesh-Rasse, wenn er auch nur zu einem Viertel reinen Blutes war. Für ihn gab es keinen Stamm, kein Land und keinen Häuptling, in dessen Gefolgschaft er gestanden hätte. Treu war er nur seiner Vision. Er hatte ein Gerät, in dem er Bilder sah; niemand sonst konnte oder wollte es benutzen. Es wird allgemein gesagt, daß die Wächter dieser Welt ihn niedergestreckt haben, weil er ihnen das Geheimnis der Zukunft stahl … So lautet seine Geschichte, so ist sie überliefert.“
Sie wurden von einem Jungen unterbrochen, der aus der gleichen Nische ins Zimmer trat, aus der zuvor Erisshauten gekommen war. Offenbar war er ein Lehrling; statt eines massiven Helms trug er ein filigranes Rahmengebilde auf seinen Schultern. Ohne sich für die Störung zu entschuldigen, ging er auf Azendarach zu und verbeugte sich vor ihm. Seine Hände waren unter seinem Gewand verborgen. Er sprach mit hoher Stimme: „Mein Herr und Phanet, der untere Kammerherr läßt bestellen, daß alles bereit ist.“
Durch ein steifes Nicken mit dem gesamten Oberkörper deutete Azendarach an, daß er verstanden hatte, dann entließ er den Jungen. Nun trat Erisshauten ins Zimmer.
Er meldete: „O Phanet! Dzoz Potale hat den Wunsch nach einer Unterstützung beim Reflexionslesen zurückgezogen. Sie teilen mit, daß ihr Empfang jetzt klar ist und daß sie die Nachricht unverzüglich an den Oberleser weiterleiten werden. Die Nachricht ist bereits eingetroffen, sie lautet: ‚Teilen mit, es wird empfohlen, daß es sofort zu geschehen hat.’“
„Das war alles?“
„Das haben sie gesendet, o Phanet. Sie teilen mit, daß sich ihr Empfang seit ihrer letzten Botschaft sehr schnell gebessert hat.“
Durch leichte Drehungen in der Hüfte setzte der Phanet seinen Helm seitlich in Bewegung, eine deutliche Geste der Mißbilligung und der Verunsicherung. Er seufzte vernehmlich, dann sagte er: „Eine klar empfangene Botschaft darf ich nicht anzweifeln, denn sie sind sehr selten, und selbst ein Neuling in der Kunst kann sie sofort verstehen. Dennoch wundere ich mich, daß wir hier keine solche Botschaft empfangen haben …“ Er ging unentschlossen auf und ab.
Erisshauten war seine wachsende Nervosität deutlich anzumerken. Er räusperte sich und sagte hastig: „Vielleicht, o Herr, hat dies mit der Lesart des edlen Bedetdznatsch zu tun. Nach der Dämmerungslesung am Morgen hat er nämlich seine Übungen zur Reinigung und Zerstreuung des Geistes ausgeführt, und nun ruht er in seiner Kammer.“
Azendarach kicherte in sich hinein, dann sagte er gedehnt: „So, tut er das? Und das Lesen erledigen dann wohl tagsüber die Lehrlinge?“
„Ich würde es nie wagen, die Lesart des edlen
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