Stunde der Vergeltung (German Edition)
Nebenhöhlengeschichte, die mich hin und wieder plagt. Allergisch bedingt. Keine große Sache. Machen Sie sich keine Gedanken um mich.«
»Wie Sie meinen.« Sie errötete und wollte die Tür wieder schließen.
»Nancy?«, rief er mit dünner, flehentlicher Stimme. Er atmete tief ein, um sie zu stabilisieren, während Nancy die Tür erneut öffnete und den Kopf hindurchsteckte. »Ähm … bitte erwähnen Sie das Ganze niemandem gegenüber, okay?«, bat er sie. »Und ich meine niemandem.«
Sie wirkte fast furchtsam. »Natürlich«, versprach sie leise.
Die Tür wurde geschlossen. In dem Geräusch schwang eine seltsame Endgültigkeit mit, als würde sie sich vor der Person verschließen, die zu werden er sich in seiner Fantasie ausgemalt hatte. Er war zurechtgestutzt und zu jemandem reduziert worden, der von nun an immer ein wenig kleiner sein würde. Jemand, der niemals wieder seinen Kugelbauch loswerden und für den regionalen Zehn-Kilometer-Lauf trainieren würde. Jemand, der Nancy Ware niemals zu einem Blues-im-Park-Konzert einladen, eine eigene Wohnung mieten und bei seiner Mutter ausziehen würde. Jemand, der es niemals zum leitenden Geschäftsführer bringen würde.
Er schnappte sich den Papierkorb und erbrach sich in den Plastikbeutel, bis gallebitterer Rotz von seinem Gesicht tropfte. Er wischte ihn weg, betastete seine Hoden und fragte sich, ob sie wohl irreparabel beschädigt waren.
Dann überlegte er, ob es eine Erlösung wäre, sich nach der Arbeit mit dem Auto in den Fluss zu stürzen. Einfach nur, um dieses grauenvolle Gefühl loszuwerden.
»Hol Schwung mit den Beinen«, ermutigte Sveti sie. »Immer vor und zurück. So kannst du ganz allein höher schaukeln.«
Rachel versuchte es beherzt, aber es gelang ihr nicht wirklich, die wilden Bewegungen ihrer dünnen Beinchen mit dem Rhythmus der Schaukel zu koordinieren. Trotzdem bemühte sie sich nach Kräften, während sie vor Vergnügen kichernd wie ein frisch gefangener Fisch in der Kinderschaukel zappelte.
Es wurde schon dunkel, der graue Himmel verschmolz zur einen Seite gänzlich mit der Nacht. Außerdem war es bitterkalt, aber sie hatten so viel Spaß auf dem Spielplatz des Parks, dass keine der beiden jetzt schon gehen wollte. Immerhin konnten sie die hell erleuchteten Fenster von Erins und Connors Haus auf der anderen Parkseite wie ein Signalfeuer der Sicherheit funkeln sehen. Nachdem Rachel tagelang nach ihrer Mutter geschrien hatte, beruhigte sie sich allmählich. Sie aß noch nicht richtig, und wenn sie überhaupt sprach, dann stotterte sie, aber die Dinge entwickelten sich zum Besseren. Gerade lachte und strahlte sie, und Sveti freute sich darüber. Es widerstrebte ihr, den schönen Moment zu beenden.
Der ganze Nachmittag war so weit ganz gut gelaufen. Rachel schien der Märchenkreis in der örtlichen Bibliothek zu gefallen, gleichzeitig war das sprachliche Niveau für Svetis Englischverständnis genau richtig. Tatsächlich hatte sie sich mithilfe von Erins Büchereiausweis eine ganze Tragetasche voller Kinderbücher ausgeliehen, die sie lesen wollte. Sie musste schnell lernen.
Aber nicht nur für Josh, ermahnte sie sich streng. Vergiss den dummen Josh. Nein, sie dachte nicht an seine grünen Augen, sein breites Grinsen.
Das hier tat sie für sich. Nur für sich. Sie wollte hier das College besuchen und irgendetwas studieren, das mit kleinen Kindern zu tun hatte. Lehramt, frühkindliche Entwicklung, Psychologie, eines Tages vielleicht sogar Kinderheilkunde an einer medizinischen Fakultät.
Es machte sie so glücklich, zu sehen, wie groß Rachel geworden war, wie viel besser sie lief, die rosigen Wangen. In ihrer mollig warmen roten Skijacke und der roten Glitzermütze funkelte sie wie ein Weihnachtslicht. Man würde sie nie als Wonneproppen bezeichnen können, trotzdem sah sie so viel besser aus als in den schlimmen vergangenen Zeiten, als sie wie ein runzeliger, kleiner Troll gewirkt hatte.
Manchmal kam das alles Sveti so unwahrscheinlich vor. Dieser seltsame Rückwärtssalto der Realität. Manchmal erschien ihr das Leben wie ein fantastischer Traum. Frei zu sein, den Himmel zu sehen, die Bäume, die Blumen. Rachel bei jemandem zu wissen, der sie liebte. Ihre eigene Mutter wiederzuhaben.
Dennoch verfolgte sie dieser stinkende Kellerraum. Die urinfleckigen Matratzen, die hohläugigen Kinder. Das verhängnisvolle Schicksal, das ihnen gedroht hatte. Permanent Angst und Grauen zu empfinden. Sie fragte sich, ob das die Realität war und
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