Stunde der Vergeltung (German Edition)
dabei nicht zu wecken. Sie hatte sich gewaschen, angezogen und die Haare im Nacken zu einem Zopf geflochten. Im Schneidersitz hockte sie auf einer fadenscheinigen Karodecke und begutachtete die Phiolen, Puder und Tränke, die in ihrem geöffneten ›Tödliche-Schönheit‹-Koffer vor ihr ausgebreitet lagen.
Ihr bezauberndes Gesicht war ruhig, in einem Zustand absolut fokussierter Konzentration. Eine tödliche Alchimistin. Seine gefährliche Zauberin.
Sie spürte seinen Blick und sah auf. Zu seinem Erstaunen schenkte sie ihm ein flüchtiges, fast schüchternes Lächeln, bevor sich der Mantel sarkastischer Distanz von Neuem um sie legte.
Val seufzte. Er war ein Narr, dass er sich nach der wilden, potenten Magie sehnte, die sich tief in dem kompliziertesten, emotionalsten Verteidigungsmechanismus verbarg, der ihm je untergekommen war – außer bei Irren oder Drogensüchtigen.
Sein Leben würde nie wieder einfach sein. Und wenn schon. Scheiß auf die Einfachheit. Sein Leben war nie einfach gewesen, vom Tag seiner Geburt an. Evviva le complicazioni .
Es ertönte ein lautes Klopfen an der Tür. » Ehi, ragazzi . Ihr Frühstück steht vor der Tür«, verkündete Signora Concetta. »Der Kaffee ist bella calda , ja? Lassen Sie ihn nicht kalt werden.«
» Grazie mille «, rief er zurück. »Ich hole ihn sofort.«
Tam grinste ihn spöttisch an. »Los, mach schon. Hol ihn gleich. Du willst ihn doch. Sie lungert da draußen rum, in der Hoffnung, einen weiteren Blick auf deine männliche Ausstattung zu erhaschen, und wer könnte es ihr verübeln?«
Val warf die Decke beiseite, stand auf und trug seine männliche Ausstattung gleich einem wippenden Banner vor sich her. »Ich will niemandem Angst einjagen.«
Ehe Tam es verhindern konnte, huschte ein kleines wohlwollendes Lächeln über ihr Gesicht. »Mmm«, murmelte sie gelassen. »Ich habe keine Angst, großer Junge. Aber leider bin ich beschäftigt. Belästige mich nicht mit deinem Ding. Und die Signora ist aus hartem Holz geschnitzt. Versüße ihr den Tag. Sie verdient eine Belohnung. Immerhin arbeitet sie schwer.«
Er schnappte sich das Handtuch von dem Bettpfosten, an dem die Handschelle hing, und schlang es sich um die Taille. Es bildete ein komisches Zelt über seinem Ständer. Tam kicherte. »Feigling.«
Val ignorierte sie und schob den Türriegel zurück. Er musste sich unter dem Rahmen hindurchducken, um sich keine Gehirnerschütterung einzuhandeln.
Winterliche Sonnenstrahlen und süße, vom Regen gereinigte und nach Kräutern duftende Morgenluft erfreuten seine Augen und Nase. In den Bäumen zwitscherten aufgeregt die Vögel.
Die Signora hatte die Schubkarre mit dem Geschirr des vergangenen Abends mitgenommen und fegte gerade emsig welke Blätter aus dem Innenhof. Sie hielt inne, um ihn von Kopf bis Fuß zu mustern, dann bekreuzigte sie sich, als ihr Blick an seinem Schritt hängen blieb. » Madonna santissima «, murmelte sie.
Er bückte sich nach dem Tablett und lächelte sie strahlend an. » Buongiorno , signora . Das Abendessen war fabelhaft. Grazie di nuovo .«
»Sie werden meine pastiera mögen«, informierte ihn die gute Frau. »Ich mache die beste pastiera in ganz Kampanien.«
»Ich liebe pastiera «, versicherte er ihr. » A dopo , Signora.« Er zog sich mit seiner Beute in die Privatsphäre ihres Zimmers zurück.
Der Espressoduft, der der rußgeschwärzten Kanne auf dem Tablett entströmte, brachte sogar Tamara auf die Füße und an den Tisch. Auf einem ang eschlagenen roten Porzellantell er lagen meh rere große, feuchte Stücke pastiera: ein aus Eiern und Ricotta bestehender Kuchen, der mit kandierten Frücht en sowie vor gekochtem Weizen gefüllt und mit Orangenblütenwasser aromatisiert war. Der Anblick erfüllte Val mit Entzücken nach all der sexuellen Energie, die er in der letzten Zeit freigesetzt hatte. Sofort machte er sich über das erste Stück her.
Tam nippte an ihrem ungesüßten Kaffee und beobachtete ihn mit großen, faszinierten goldenen Augen. »Du hast mit diesem einen Stück allein vermutlich tausend Kalorien zu dir genommen«, informierte sie ihn staunend.
Val nahm sich ein weiteres Stück. » Ah, si? «, meinte er nur und seufzte genüsslich.
Auf dem Tablett stand auch eine hohe Glasflasche mit Milch. Tam entkorkte sie und schnüffelte daran. Ihre Augen begannen zu leuchten, und zu Vals Verwunderung schenkte sie sich ein wenig in ihr Glas und trank.
»Frische, echte Milch«, erklärte sie. »Sie haben hier eine
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