Stunde der Vergeltung (German Edition)
»Sie können gehen.«
Mit einem letzten besorgten Blick über die Schulter steuerte Nancy auf die Tür zu. »Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie Ihre Meinung bezüglich der Schmerzmittel ändern.«
Die Tür fiel mit einem Klicken ins Schloss. Harry begann, leise zu weinen.
»Sie dürfen noch nicht zusammenbrechen, Mr Whelan«, rügte Clive ihn. »Ich brauche Kopien der Kreditkartenabrechnungen für diese beiden Zimmer, bitte.«
Irgendwie gelang es Harry, der Aufforderung nachzukommen. Clive steckte die Papiere in die Tasche, dann warf er das funkelnde Messer mit der Geschicklichkeit eines Jongleurs in die Luft. »Danke, Mr Whelan. Sie waren mir eine große Hilfe. Und sollten Sie versucht sein, über das, was eben passiert ist, mit irgendjemandem zu reden … Ihrem Vorgesetzten, zum Beispiel, der Polizei oder diesen McClouds … «
»Das werde ich nicht«, versicherte Harry mit brechender Stimme. »Ich schwöre.«
»Oder Ihrer Mutter«, fuhr Clive fort. »Oder auch nur mit Ihrer hübschen Kollegin, die so sehr in Sorge um Sie ist. Meine Partner und ich haben Informationen eingeholt, bevor ich herkam – bezüglich Ihrer Adresse zum Beispiel. Ich weiß, dass Sie mit Ihrer Mutter in diesem viktorianischen Haus in Tacoma leben. Sehr schmuck, aber diese alten Gemäuer sind echte Feuerfallen. Es wäre doch tragisch, von der Arbeit heimzukommen und festzustellen, dass Ihre Mutter bei einem Hausbrand umgekommen ist, weil die Batterien der Rauchmelder schlappgemacht haben, hmm? Tss, tss. Was für eine Schande.«
»Ich verspreche, ich … «
»Und dann ist da noch Nancy, dieses reizende Mädchen, das gern Krankenschwester spielt. Ist das nicht süß von ihr? Sie lebt ganz allein mit ihrer Katze in diesem Apartmentkomplex auf der anderen Seite des Parks. Wohnung 8D. Alleinstehenden jungen Frauen können nachts grauenvolle Dinge zustoßen. Es ist einfach furchtbar. Sie würden für so etwas nicht die Verantwortung tragen wollen, nicht wahr?«
Harry schüttelte den Kopf und musste zu seiner Bestürzung feststellen, dass er nicht aufhören konnte, ihn zu schütteln. Er bewegte sich ohne sein Zutun weiter hin und her. Nein. Nein. Nein .
Grinsend legte Clive die Hand auf Harrys Kopf und zwang ihn stillzuhalten. »Hervorragend. Dann verstehen wir uns.« Er streckte ihm die Hand entgegen, als hätten Sie gerade ein normales geschäftliches Gespräch zum Abschluss gebracht.
Entsetzt realisierte Harry, dass sein sklavischer Gehorsam gegenüber dem anderen Mann tatsächlich so weit ging, dass er ihm zitternd die Hand gab. Clive schüttelte sie, dann quetschte er sie ein letztes Mal brutal zusammen. Harry wand sich wimmernd wie ein geprügelter Hund.
»Einen schönen Tag noch, Mr Whelan. Und herzlichen Dank für Ihre Hilfe.«
Die Tür fiel hinter ihm zu. Harrys Oberkörper sackte auf die Schreibtischplatte. Seine Kehle drohte jeden Moment zu implodieren. Sein Schritt pochte. Er fühlte sich vergewaltigt, in Stücke gerissen, als würde er innerlich verbluten. Er hatte nicht geahnt, wie einfach es war, tödlich verwundet zu werden.
Dann blitzte etwas durch seinen Kopf wie eine Neonleuchtreklame. Ein entsetzlicher Gedanke.
Was würde ein Mann wie dieser einem dreijährigen Mädchen antun?
Er wich vor dem Gedanken zurück, als hätte er ihm einen Stromstoß verpasst. Zu viel. Das konnte er sich nicht auch noch aufbürden. Das kleine Mädchen war nicht seine Verantwortung. Das hier war nicht seine Schuld. Er hatte die Situation nicht herbeigeführt.
Als ein zaghaftes Klopfen an der Tür erklang, griff Harry hastig nach einer Papierserviette, um sich über Augen und Nase zu wischen. »Was ist?«, rief er.
Nancy linste ins Zimmer. »Harry? Ich, äh, habe diesen Mann gerade gehen sehen, also dachte ich mir, ich schaue mal nach Ihnen. Ich habe mich gefragt … was das Ganze eigentlich sollte.«
Eine verrückte Sekunde lang war er versucht, ihr alles zu erzählen. Was für eine unendliche Erleichterung es wäre, die grauenvolle Last der letzten zehn Minuten mit jemandem zu teilen. Dann stellte er sich Nancy nachts allein mit ihrer Katze in Apartment 8D vor.
Nein. Tu es nicht .
Harry schnäuzte sich wieder. »Das war eine schwierige Situation.« Er hasste die verstopft klingende, beflissene Stimme, mit der die Worte herauskamen. »Manchmal muss man in dieser Branche nach persönlichem Ermessen handeln.«
»Ach so«, murmelte sie. »Hm. Okay. Harry, sind Sie sicher, dass Sie … «
»Ja! Mir geht es bestens! Es ist nur diese
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