Stunde der Vergeltung (German Edition)
unten.
Im Hafen wurde gerade eine Fähre beladen, die eine Gruppe nahe gelegener Inseln zum Ziel hatte. Vor der Auffahrtsrampe wartete eine lange Reihe von Fahrzeugen. Mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Kopf huschte Val zwischen den Autos hindurch, dann schlich er an ihnen entlang. Er versuchte, sich so unauffällig zu verhalten, wie dies einem tropfnassen, blutenden, verprügelten, unterkühlten Menschen möglich war, der kurz davor stand, einen Schock zu erleiden.
Endlich entdeckte er ein geeignetes Ablenkungsmanöver: ein kleines landwirtschaftliches Nutzfahrzeug mit drei Rädern, das von einem grauhaarigen alten Mann gelenkt wurde. Dem Gestank nach hatte es an diesem Morgen Fisch geladen gehabt. Der Fischer musste aufs Festland gekommen sein, um seinen Fang zu verkaufen, und wollte nun zurück auf seine Heimatinsel.
Val nahm die blutige Kapsel aus der Tasche und warf sie in den Laderaum des klapprigen Gefährts, anschließend beschleunigte er zügig seine Schritte. Bald darauf mühte er sich die steile Anhöhe hinauf, dabei nahm er jede Abkürzung, die die gewundene, gepflasterte Serpentinenstraße zu bieten hatte. Sollte er es bis zu seinem Auto schaffen, ohne gesehen zu werden, hätte er halbwegs eine Chance.
Schließlich wurde der Drang zu rennen unerträglich, und er lief los, ungeachtet der sengenden Schmerzen in seiner Schulter. Es starrten ihn sowieso alle an.
24
András hatte eine Mordswut im Bauch, und der lange, anstrengende Aufstieg zur höchsten Stelle von La Roccia beflügelte seine Stimmung nicht gerade. Dieser hinterlistige Bastard war ins Meer gesprungen und versteckte sich jetzt in den Grotten. Janos konnte natürlich nicht lange dort ausharren. Er war klatschnass. Er musste herauskommen, bevor er an Unterkühlung starb. Doch er war ein zäher Hund, darum konnte er womöglich lange warten.
Währenddessen war András’ Ruf, schnelle Ergebnisse zu liefern, gerade kompromittiert worden. Und der alte Novak kaute sich vor Ungeduld die gelben Fingernägel ab. Keiner aus seinem nutzlosen einheimischen Team war bereit gewesen, Janos in die Schmugglerhöhlen zu folgen, auch wenn die meisten von ihnen hin und wieder schon dort gewesen waren. Zweien hatte er daraufhin den Befehl erteilt, andere Zugänge zu den Kavernen auf der Nordseite von La Roccia zu observieren, der dritte lag als lebloser Fleischklumpen mit Bauchschuss am Strand, dem anderen ging es nicht viel besser, er blutete aus einer Oberschenkelwunde und zog damit unwillkommene Aufmerksamkeit auf sich. Mit ein wenig Glück war er inzwischen ins Koma gefallen oder zumindest bewusstlos.
András hatte seinem Team detailliert geschildert, was jedem blühte, der unglückseligerweise verwundet würde, wenn derjenige sich der Polizei gegenüber gesprächig zeigen sollte. Er konnte nur hoffen, dass diese Bauerntölpel begriffen, wie ernst es ihm war.
Damit blieben nur er selbst und dieser gehirnlose Affe Angelo übrig, um sich über La Roccia zu kämpfen, sodass sie den anderen Zugang zu den Grotten, den für die Touristen, im Auge behalten konnten. Würden ihm nicht zwei Männer fehlen, dann hätte er den Wichser eigenhändig erwürgt, weil er auf Janos geschossen hatte, obwohl er ihm eingebläut hatte, dass der Mann unbedingt am Leben bleiben musste. Natürlich war der Idiot der Bruder von Massimo, dem Kerl mit dem Bauchschuss, aber trotzdem. Das war verflucht noch mal keine Entschuldigung für unprofessionelles Verhalten. Befehle waren Befehle.
Schnaufend und keuchend kletterte Angelo über den Gipfel von La Roccia, dann warf er sich ächzend und prustend auf einen flachen Felsen, um seinen stillen Protest gegen das von András angeschlagene Tempo zu bekunden. András umklammerte den mobilen Empfänger, den er aus Hegels Zimmer gestohlen hatte.
»Steh auf«, knurrte András. »Er könnte die Höhle bereits verlassen haben. Los, weiter.«
Angelo stemmte seine muskelbepackte Gestalt hoch und folgte ihm in einem schwerfälligen, watschelnden Galopp den steinernen Serpentinenweg hinab. An einem Aussichtspunkt nicht mehr weit vom Fuß des Hügels entfernt stoppte András an einer Bank und fuhr den Laptop hoch, um das Signal zu orten. Sein Herz machte einen Satz, als das Icon endlich blinkend sichtbar wurde. Er klickte auf die Karte und vergrößerte sie, bis er einen detaillierten Straßenplan des Hafenareals von San Vito vor sich hatte.
Und da war er, dieser schlitzohrige Hurensohn. Er versteckte sich am Ufer, keine dreihundert Meter
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