Stunde der Vergeltung (German Edition)
die Tür zu setzen. Aber ich fürchte, sie arbeitet daran.«
Margot blieb vor einer geschnitzten Holztür stehen, dann betrachtete sie Val über die flammend roten Löckchen ihrer Tochter hinweg mit einem spekulativen Blick.
»Erschrecken Sie sie nicht, wenn es sich vermeiden lässt«, riet sie ihm. »Tam ist zurzeit hypernervös. Sie bekommt nicht viel Schlaf.«
»Sie meinen, sie könnte mich aus Versehen ins Jenseits befördern?«
Margot lächelte, als sie die Tür aufzog. »Das haben Sie gesagt, nicht ich.«
Tam hatte Kopfhörer aufgesetzt und beugte sich gerade mit dem Rücken zu ihnen über einen Werktisch. Sie trug eine Hose aus ungebleichtem Leinen, die tief auf ihrer Hüfte saß, dazu ein kurzes schwarzes T-Shirt, das weder ihren Nabel verdeckte noch die sinnliche weibliche Einbuchtung ihrer Taille verbarg. Ihre Füße waren nackt. Das Haar hatte sie zu einem dicken, lockeren Zopf zusammengefasst.
Sie war ganz in ihre Arbeit vertieft, dabei wiegte sie sich rhythmisch zu einer Musik, die nur sie hören konnte. Sie war so dünn, ihre Arme so schmal. An ihrem rechten Arm entdeckte Val dunkelviolette Operationsnarben. Die McClouds hatten ihm von den Eingriffen erzählt, die nötig gewesen waren, um das zerfetzte, misshandelte Gewebe und die gerissenen Sehnen zu reparieren.
Mit zusammengepressten Lippen starrte Val auf die Narben. Seine Kehle brannte.
Margot räusperte sich. »Ich lasse Sie dann lieber mal allein. Bestimmt wollen Sie unter vier Augen mit ihr reden.«
»Ja, das wäre das Beste«, pflichtete er ihr bei. »Dann laufen wir nicht beide Gefahr zu sterben.«
Margot verschluckte sich an einem kleinen Glucksen. »Viel Glück.«
Klickend fiel die Tür hinter ihr zu.
Val starrte Tam einfach nur an. Nach all den Wochen hungerten seine Augen nach ihrem Anblick, nach jedem perfekten Detail: die aufrechte Haltung ihres Rückens, die samtige Textur ihrer Haut, ihre perfekt gemeißelten Wangenknochen, die Art, wie ihre schlichte Arbeitskleidung ihre anmutigen Kurven umschmiegte.
Er fühlte sich hilflos, verloren. Er hatte sein weiteres Vorgehen nicht geplant, spürte nur dieses Verlangen und seine maßlose Sehnsucht. Ihm fiel nichts ein, wie er sie auf sich aufmerksam machen könnte, ohne ihr einen unwillkommenen Adrenalinstoß zu versetzen, darum entschied er sich zu warten. Tam verfügte genau wie er über einen sechsten Sinn. Sie würde seinen Blick bald spüren und sich umdrehen. Und dann würde er endlich erfahren, ob das Leben die geringste Hoffnung auf Glück für ihn bereithielt.
Nein, es war keine Frage der Hoffnung, rügte er sich selbst. Es war ein Willenskampf. Sie konnte seine Liebe akzeptieren, oder sie konnte ihn töten. Wenn sie ihn loswerden wollte, würde sie ihn umbringen müssen. Das waren ihre Optionen. Sehr simpel.
Er würde diesen Ort nicht verlassen, ohne seinen Willen durchgesetzt zu haben.
Wie könnte ein Mann einer Kreatur wie dir seine Liebe gestehen? Männer lieben keine Frauen wie dich. Sie benutzen sie, danach entsorgen sie sie wie Abfall, weil sie wertlos sind .
Tam konnte die heimtückische Geisterstimme nur unter großer Anstrengung ausblenden.
Verpiss dich, Novak , wisperte sie lautlos. Du bist tot. Du hast das Spiel verloren .
Dieser bösartige alte Bastard. Er ließ nicht locker. Jetzt bearbeitete er sie von innen. Nichts davon ist wahr, redete sie sich gut zu. Lass dich nicht zum Narren halten. Fall nicht darauf rein. Lass ihn nicht gewinnen. Er durfte sie nicht mit sich in die Tiefe ziehen, jetzt, wo sie frei war und zu Hause und es geschafft hatte. Zumindest nach außen. Innerlich war sie ein tief verwundetes Häufchen Elend.
Tam lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Musik, die aus ihren Kopfhörern dröhnte, und konzentrierte sich auf das Armband, an dem sie arbeitete. Die gemeine Flüsterstimme wurde mit der Zeit schwächer, aber es geschah nur zögerlich und langsam. Jedes Mal wenn ihre Gedanken abdrifteten und sie blicklos ins Leere starrte – was oft vorkam – , lauerte Novaks kratzige Stimme schon auf sie, um ihr einen nicht enden wollenden Schwall schmutziger Gemeinheiten ins Ohr zu grunzen.
Verdammt. Sie musste über diese Sache hinwegkommen. Rachel war ebenfalls traumatisiert, und Tam musste stark sein für sie. Sie konnte es sich nicht erlauben, jammernd den Kopf hängen zu lassen.
Aber, oh Gott, es war so schrecklich schwer. Sie hatte das Gefühl, zwei Tonnen zu wiegen. Sie war so müde, so traurig, so leer. Der gebrochene Arm und die
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