Stunde der Vergeltung (German Edition)
laute Applaus, die Beifallsstürme und Jubelrufe sie zusammenschrecken ließen. Nick schnappte sich seine frisch angetraute Frau, beugte sich über sie und verpasste ihr einen saftigen, triumphalen Schmatz. Als die Orgel erklang, vergrub Tam die Nase in Rachels warmen Locken und wappnete sich innerlich für die obligatorischen Gratulationen und den unvermeidbaren, öden Smalltalk, der ihr bevorstand. Es war jedes Mal die reinste Folter.
Warum ging sie überhaupt zu solchen Anlässen? Rachel zuliebe, vermutete sie, aber das allein war es nicht. Sie hasste sie, ja, trotzdem war sie ehrlich genug, sich einzugestehen, dass ein Teil von ihr aus unerfindlichen Gründen wünschte, sie würde sie nicht hassen. Ein Teil von ihr wünschte sich von Herzen, sie müsste nicht alles so sehr hassen.
Das half ihr in diesem Moment allerdings nicht weiter, in dem die Leute begannen, sie gleichzeitig zu langweilen, zu bedrängen, zu bestürmen und zu necken. Tam zementierte ein breites Lächeln in ihr Gesicht, biss die Zähne zusammen und stellte Rachel auf die Füße, als der Ansturm über sie hereinbrach.
Erin war die Erste, die ihr zu Leibe rückte. Ihr Gesicht glühte vor triumphaler Verzückung. »Hallo, Tam. Du siehst fantastisch aus. Ein umwerfendes Kleid, und Rachel schaut in Purpur einfach zum Anbeißen aus. Was für eine nette Überraschung, Sie hier zu treffen, Mr Janos!«
»Ich freue mich auch sehr.« Val beugte sich über Erins Hand und zwinkerte Tamara verschmitzt zu, bevor er sie nach Graf-Dracula-Manier küsste.
Für dieses Zwinkern würde er sterben, schwor Tam sich im Stillen. Sie begegnete Connors Blick und stellte mit grimmiger Belustigung fest, dass er von Janos’ aalglatter, transsilvanischer Galanterie genauso wenig beeindruckt war wie sie. Erin schien allerdings Gefallen daran zu finden, genau wie Baby Kevin. Kleine Kinder mochten den Kerl offensichtlich. War das zu fassen?
Es machte einfach keinen Sinn, aber sie hatte keine Zeit, sich weiter darüber zu wundern. Alle umringten sie, um sich diese neueste Sensation – Tam mit einem Date – anzusehen, bis sie gefangen war in einem aufgeregten Strudel sie umschließender Arme.
Rachel, die sich an ihrem Schenkel festklammerte, protestierte lautstark dagegen, in einem Wald von Beinen verloren zu sein. Aber noch bevor Tam sie befreien konnte, wurde Rachel schwungvoll hochgehoben, ihre dünnen Beinchen strampelten in den roten Strümpfen, und sie verschwand fast aus Tams Blickfeld.
Keuchend schoss sie herum, als Janos Rachel gerade auf seine Schultern nahm. Das Mädchen quietschte vor Vergnügen. Seine Augen waren geweitet, die Wangen rosig.
»Setz sie ab«, zischte sie ihm zu. » Figlio di puttana .«
Janos blinzelte unschuldig. Glucksend legte Rachel den Arm vor seine Stirn. »Aber warum? Sie liebt es.«
Tam fasste nach oben, um ihm das Kind abzunehmen, doch Rachel stimmte ihr Sirenengeheul an. Seufzend ließ Tam die Arme sinken.
»Sie ist noch nicht vollkommen sauber«, sagte sie. »In Momenten großer Aufregung kann sie es manchmal nicht halten. Aber wir leben neuerdings gefährlich und gehen große Risiken ein. Keine Windeln mehr. Nur noch Große-Mädchen-Höschen, aus dünner Baumwolle.«
Offensichtlich unbeeindruckt hielt Janos ihrem Blick stand. »Und weiter?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich habe für Rachel frische Unterwäsche und Strumpfhosen in meiner Tasche, sollte sie in die Hose machen, allerdings kann ich dir kein neues Armani-Sakko zur Verfügung stellen, wenn das Unvermeidbare geschieht. Und ich werde keinen Funken Mitleid mit dir haben, ganz im Gegenteil, es wird mir den Tag versüßen.«
Janos’ weiße Zähne blitzten. »Es ist weniger wahrscheinlich, dass du mich mit einer vergifteten Klinge stichst oder mir mit einer Halskette einen Stromstoß versetzt, während ich Rachel auf den Schultern habe«, erklärte er. »Auf die Art bin ich sicherer. Also werde ich es riskieren.«
Erst jetzt bemerkte Tam das faszinierte Publikum, das sie umringte. »Herrgott noch mal«, rief sie. »Habt ihr nicht alle irgendjemanden zu küssen? Los, veranstaltet einen Wirbel um die Braut, bevor sie sauer auf mich wird, weil ich zu viel Aufmerksamkeit auf mich ziehe! Ab mit euch!«
Ihre Freunde grinsten einander verstohlen an und zerstreuten sich. Janos folgte Tam, als sie sich die Wickeltasche über die Schulter hängte und einen Weg in den Ballsaal bahnte, wo der Empfang stattfand. Amüsiert und mit ruhigem Gleichmut ertrug er Rachels klebrige
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