Sturm der Barbaren
Gründen.
»Wenn du unbedingt willst.« Sie lächelt noch einmal. »Du hast dich schon immer gern für eine Weile zurückgezogen. Ich bin froh, dass sich wenigstens das nicht verändert hat.«
»Immer möchte ich diesen Abstand auch nicht haben, Myryan.« Er tritt vor und umarmt sie. »Ich kann nur nichts daran ändern. Nicht jetzt.«
Sie erwidert die Umarmung und löst sich schnell wieder. Lorn fragt sich, ob er sich wohl so sehr verändert hat, dass sie sich an ein paar alten Gewohnheiten festhalten muss, um sich selbst davon zu überzeugen, dass er der Lorn geblieben ist, den sie kennt.
Er nimmt die Tragetasche wieder an sich, winkt Myryan noch vom Gartentor aus nach, als sie hinausgeht auf den Dreiundzwanzigsten Weg, und sucht dann den Garten auf, wo er sich in die Laube zurückzieht.
Myryan ahnt vielleicht, was er vorhat, aber sie weiß es nicht, und in einem Spähglas gleicht eine Gartenlaube der anderen.
Er wartet noch, bis sie weit genug entfernt ist vom Haus, sodass sie nicht fühlen kann, was er tut. Dann stellt er sich in die Ecke der Gartenlaube. Das graue Winterlaub des Weins ist noch dick genug, um ihn vor den neugierigen Blicken aus den Nachbarhäusern zu schützen, die sich über die grauen Steinmauern des Hintergartens erheben.
Als er sich die blauen Kleider und Stiefel übergestreift hat, die er in der Tasche bei sich trug, streckt er sich und zupft die Tunika zurecht. Das Blau fühlt sich seltsam an … als wäre er daraus schon herausgewachsen. Er überprüft den Sitz; die Tunika passt einwandfrei. Er schnaubt und lächelt gleichzeitig.
Als Oberbuchhalter tritt er aus der Laube heraus, die Tragetasche hält er wieder in der Hand. So durchschreitet er das Gartentor, das er sorgfältig hinter sich schließt. Dann macht er sich auf den Weg zurück nach Westen in die Stadtmitte von Cyad.
Beim Fünfzehnten Weg, lange bevor man ihn vom Haus seiner Eltern sehen kann, biegt er ab und geht nach Süden zur Straße des Lauteren Handels. Dieser folgt er bis zum Händlerviertel.
Je höher die Sonne in den klaren, blaugrünen Himmel steigt, desto wärmer und leichter wird der Wind und desto mehr Menschen füllen den Gehweg neben der Straße. Ein Wagen, gezogen von einem einzigen Pferd, fährt an Lorn vorbei. Lorn liest die Inschrift, die in gelber Farbe auf die grüne Wagenseite gepinselt wurde: HAUS TARFAK, GEWÜRZE.
Vielleicht sollte das Haus Ryalor einmal über Gewürze nachdenken. Er lächelt in sich hinein und geht schnellen Schrittes weiter. Als er am Leeren Viertel vorbeikommt, dem Kaffeehaus, muss er feststellen, dass es noch leerer erscheint als vor gut drei Jahren und dass man die Markise, die einst die Tische auf der Terrasse vor der Sonne schützte, entfernt hat. Genau wie die Tische. Gibt es denn so wenig Kaffee, dass ihn sich die Junghändler nicht mehr leisten können?
Am Dritten Hafenweg überquert er hinter einem leeren Wagen, der von zwei Mauleseln gezogen wird, die Straße, um sich auf dem weißen Steingehweg Richtung Hafen zu halten und schließlich über einen flachen Hang zum unteren Händlerplatz zu gelangen. Die Stände sind noch immer mit den traditionellen grün und weiß gestreiften Planen bedeckt, als Lorn über den Platz zur nordwestlichen Ecke schlendert; sein Ziel ist das weiße Gebäude der Klanlosen Händler, wo Ryalth noch immer das kleine Kontor des Hauses Ryalor unterhält.
Den offenen, eckigen Torbogen des Gebäudes und den verhältnismäßig wenig besuchten Platz lässt er hinter sich und findet sich inmitten eines Getümmels aus blauen Gestalten wieder; einige tragen auch Rot, Weiß oder Grün. Ohne groß Beachtung zu finden, drückt sich Lorn um die kleinen Gruppen von Händlern, Kaufleuten und deren Gefolge herum und bahnt sich den Weg zur Treppe im hinteren Teil der hohen Halle. Er blickt hinauf auf die drei Stockwerke von Balkonen und hofft, dass Ryalth mit ihrem Kontor noch nicht umgezogen ist.
Sie ist überhaupt nicht umgezogen – immer noch hat sie den zweitürigen Raum ganz hinten im dritten Stockwerk, fast in der nordöstlichen Ecke des Gebäudes. Sie sitzt am kleinen Ecktisch und studiert ein Buch. Den Kopf hält sie tief nach unten gesenkt, und als Lorn sich anschleicht, fällt ihm auf, dass sie die Haare nun viel kürzer trägt als früher.
»Könnt Ihr einen Oberbuchhalter gebrauchen, Händlerin?« Lorn lächelt und sein Herz schlägt schneller, als es eigentlich sollte.
»Ja …« Ryalth blickt auf und verstummt mit geöffnetem Mund. »Du
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