Sturm der Barbaren
ich gern gesehen.« Ryalth verzieht das Gesicht.
»Da bin ich sicher«, lacht Lorn.
Sie kommen am Vierten Hafenweg vorbei – am östlichen, doch auf den Schildern ist nicht näher beschrieben, ob die Wege nun östlich oder westlich vom Hafen verlaufen.
»Wie geht es Myryan?«, fragt Ryalth nach einer Weile.
»Ich weiß nicht genau. Sie scheint gesund zu sein, aber sie ist nicht glücklich … hat sich abgefunden. Sie klang nur einmal fröhlich, und das war, als sie vom Haus und von ihrem Garten gesprochen hat.«
»Ist das nicht gut?«
»Ich bin froh, dass sie das Haus hat«, sagt Lorn. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie es bei Ciesrts Eltern aushalten würde. Er ist der zweithöchste Magi’i. Kharl, Ciesrts Vater, meine ich.«
»Es muss doch eine Ehre für Myryan sein, mit Ciesrt vermählt zu sein«, meint Ryalth mit tonloser Stimme. Sie versteckt ihre Gefühle.
»Sie wollte es nicht und ich versuchte es Vater auszureden vor meiner Abreise. Er wartete dann zwar mit der Vermählung, aber er änderte seine Meinung nicht.« Lorn atmet tief ein. »Ich glaube, Myryan würde es ohne diese Ehre besser gehen.«
»Du tust fast alles für die, die dir nahe stehen.«
»Fast.« Lorn versucht Zeit zu gewinnen, wieder fragt er sich, ob es nicht doch besser gewesen wäre, Kharl umzubringen. Denn nun hat der Lektor herausgefunden, dass Lorn eine Bedrohung darstellt.
»Mehr als das, glaube ich.« Ryalth klingt ruhig, beinahe abwesend. »Und dein Vater weiß das.« Nach einer winzigen Pause fügt sie hinzu: »Glaubst du nicht?«
»Vater? Ich glaube, er weiß gar nicht genau, was er denken soll. Ich bin nicht der Magi’i-Sohn, den er sich wünscht, und ich bin auch kein Lanzenkämpferoffizier, wie er ihn sich vorstellt.«
»Du bist immerhin noch am Leben und hast es bis zum Hauptmann gebracht«, meint Ryalth.
»Ich arbeite … wirkungsvoll«, sagt Lorn. »Aber nicht ruhmreich.« Seine Augen wandern zum nächsten Weg, wo ein Kesselflickerkarren vor einem kleinen Haus angebunden steht und der braun gewandete Handwerker mittels eines Fußpedals einen Schleifstein antreibt, mit dem er geschickt ein Messer nach dem anderen schärft.
Ryalth nickt und schürzt die Lippen. »Vielleicht bist du deshalb ein so guter Händler.«
»Ich bin kein Händler. Du bist viel besser darin, als ich es jemals sein werde.«
»Du weißt immer schon im Voraus, wenn sich etwas verändert«, verbessert sie ihn. »Und ich weiß, was ich tun muss, wenn du mir sagst, was passieren wird.«
»Wir sind ein gutes Gespann.« Er lächelt und ist froh, sie neben sich zu haben, als sie an dem Karren des Kesselflickers vorbeigehen.
»Das hast du noch niemals gesagt.«
»Habe ich das nicht? Gedacht habe ich es oft genug.«
»Es gibt vieles, über das du nachdenkst, was du aber nicht mit mir teilst, Lorn.«
Da spürt er die Wehmütigkeit hinter der äußeren Fassade der erfahrenen Händlerin, eine Wehmut, die die meisten anderen nicht bemerken würden. »Es tut mir Leid.« Das stimmt wirklich, aber er weiß, dass jedes Wort, das sie in der Öffentlichkeit austauschen, den falschen Personen zu Gehör kommen kann.
Ryalth zeigt auf das Gebäude an der unteren Seite der Straße des Lauteren Handels. »Ich habe mir im dritten Stock Zimmer gemietet. Ganz oben.«
Lorn folgt ihr durch den Torbogen in der Mauer und dann durch den einfachen Gemeinschaftsgarten – einige zugeschnittene Zwergzedern, zwei Blumenbeete, die bereits umgegraben sind für den Winter, und ein paar von den Jahren polierte Steinbänke, die von einer Hand voll dichter Nadelbäume beschattet werden.
»Die Wohnung stand leer. Die Zimmer kosten nur drei Goldstücke mehr pro Jahreszeit und der Balkon ist geschützter«, erklärt Ryalth, während sie die äußere Steintreppe hinaufläuft. »Das ist es mir wert. Die Zimmer sind größer und im Sommer habe ich immer eine leichte Brise.«
»Ist es im Winter nicht kalt darin?«
»Davon habe ich bislang nichts bemerkt.« Sie lächelt, als sie vor der letzten Tür des überdachten Ganges im dritten Stock stehen bleibt.
»Schöner Ausblick von hier oben«, sagt Lorn.
»Das stimmt.«
Der Schlüssel dreht sich im Schloss, Ryalth öffnet die Tür und wartet, dass Lorn hineingeht. Lorn jedoch wartet seinerseits, dass sie eintritt. Beide lächeln, obwohl sie nervös sind.
Lorn schüttelt schließlich den Kopf und tritt ein, vorbei an dem schmalen inneren Wandschirm. Dann dreht er sich um und blickt Ryalth ins Gesicht und in die tiefblauen
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