Sturm der Barbaren
Wo sonst würde ich Birnapfeltörtchen mit Sahne bekommen?« Lorns Lächeln wächst sich zu einem breiten Grinsen aus.
Kien schüttelt den Kopf, als Lorn sich umdreht.
Draußen vor dem Arbeitszimmer blickt Lorn durch die Säulen des offenen Bogengangs, der das oberste Stockwerk umgibt. Er schaut nach Südwesten und zum Hafen, doch das Gebäude, in dem die Klanlosen Händler untergebracht sind – und das Handelshaus Ryalor –, sieht er nicht. Dann geht er langsam hinunter zu seinen eigenen Gemächern im ersten Stock; wenn man diese noch so bezeichnen kann nach dreijähriger Abwesenheit.
In der Eingangshalle sucht er nach seinen Taschen, aber jemand hat sie weggetragen, also geht er weiter zum Rückgebäude und schlüpft durch die offene Tür in seine Gemächer. Die Taschen stehen neben dem Schrank hinter dem Torbogen, der ins Schlafgemach führt. Der Säbel liegt auf dem Tisch. Der Raum hat sich nicht verändert, nur dass er etwas verlassen wirkt und es an den kleinen Dingen fehlt. Es liegen keine Kupferstücke in dem winzigen Gefäß in der Ecke des Schreibtischs und es fehlt an Papier im oberen Fach aus Weißeiche neben dem leeren Tintenfass.
Lorn wirft einen Blick auf die Taschen, dann lächelt er amüsiert in die Leere des Raums hinein, bevor er sich umdreht und zu Jerial geht.
»Es ist offen. Du kannst hereinkommen, Lorn.« Jerial sitzt hinter dem Schreibtisch. Sie steckt die Feder mit der Cupridiumspitze zurück in den Halter und stöpselt das Tintenfass mit ihren schlanken, flinken und geschickten Fingern zu. Die stechend blauen Augen blicken den Bruder an und zwei fein gezeichnete schwarze Augenbrauen wölben sich fragend nach oben.
»Eine Warnung, dass ich die Fehler meiner Vergangenheit nicht wiederholen soll«, antwortet Lorn auf die unausgesprochene Frage. »Waren es wirklich Fehler?« »In Vaters Augen schon, nehme ich an.« »Das ist nicht alles, aber ich will dich nicht drängen.« »Danke.« Lorn lässt sich in den Lehnstuhl neben dem Schreibtisch fallen, der dem in seinen Gemächern sehr ähnlich ist. »Wie geht es dir?«
»So wie man es erwartet bei einer Heilerin … ohne Gemahl.« Jerial zuckt mit den Schultern. »Mir geht es nicht schlecht, und ich bin immer da, wenn man mich braucht. Dafür ernte ich nichts als Herablassung, aber der Druck, mich zu vermählen, ist nicht so groß.« Sie zeigt ein schiefes Lächeln. »Ich bin mittlerweile älter als die meisten jungen Adepten, die sich vermählen müssen, und die, die noch übrig sind, wollen keine scharfzüngige Heilerin.«
»Besonders nicht, wenn sie solche Brüder hat wie du?«, fragt Lorn beiläufig.
»Vernt wird von allen akzeptiert.«
»Das habe ich mir gedacht.«
»Und ein Lanzenkämpfer, der die Barbaren bekämpft, wird auch respektiert.«
»Kurz und gut, man erwartet von mir, dass ich jung und ehrbar sterbe, sodass Vernt aufsteigen kann.« Lorn spricht ohne Bitterkeit in der Stimme, als würde er über eine offensichtliche Tatsache sprechen, an deren Richtigkeit es nichts zu zweifeln gibt.
»Nein. Man erwartet von dir, dass du heldenhaft und wirkungsvoll handelst.« Die Augenbrauen gehen ein zweites Mal nach oben. »Ist es nicht genau das, was ein Lanzenkämpferhauptmann zu tun hat?«
»Dann kann ich nur die Hälfte der Erwartungen erfüllen.« Lorn zuckt die Schultern. »Ich bin nicht sonderlich heldenhaft.«
»Ich könnte mir aber vorstellen, dass du sehr wirkungsvoll handelst.«
»Der Major hat etwas in der Art erwähnt«, räumt Lorn ein.
»Gut.« Jerial hält inne. »Ich nehme an, du wirst beim Abendessen einiges über die Barbaren und Grashügel zum Besten geben.«
»Ja. Und wie die Lanzenkämpfer Cyador und den Magi’i dienen.«
»Diese Soße könnte vielleicht ein wenig zu schwer werden.«
Lorn lässt die Lippen nicht lachen, die Augen jedoch schon, obwohl er das ohne weiteres auch noch verhindern könnte.
Jerial lacht leise. »Ich vergaß, wie gut du den Empörten spielen kannst.«
»Ich bin nicht empört. Die Spiegellanzenkämpfer und die Feuerlanzen, die von den Magi’i bereitgestellt werden, dienen nur dazu, die Barbaren aus dem Norden davon abzuhalten, Cyador zu verwüsten.« Mit einem ernsthaften Ausdruck im Gesicht verschränkt Lorn die Arme vor der Brust.
»Hmm … Vernt könnte dir eventuell glauben, wenn du mit den Feuerlanzen anfängst.«
Lorn sucht Jerials Blick.
»Er will so sein wie Vater, Lorn.« Ihre Heilerstimme klingt traurig. »Aber er kennt Vater nicht einmal.«
»Ich werde sehr
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