Sturm der Herzen
oder?«, rief Marcus aus, wütend über die Vorstellung.
Isabel schüttelte den Kopf. »Nein! Niemals! Es war bloß so, dass im einen Moment sein sehnlichster Traum in Erfüllung zu gehen schien, und im nächsten erkannte er, in welchem Albtraum wir gefangen waren.«
»Den er erschaffen hatte«, stellte Marcus nicht ohne Schärfe fest.
»Vielleicht«, stimmte ihm Isabel zu, die nicht mit ihm streiten wollte. »Doch trotz der Schwierigkeiten, die vor uns lagen, war er außer sich vor Freude über die Nachricht, dass Roseanne sein Kind erwartete.«
»Ich vermute, keiner von euch hat eine Auflösung der Ehe in Erwägung gezogen?«, erkundigte er sich sarkastisch.
»Doch, Hugh. Aber die Zeit war nicht unser Freund. Eine Annullierung in Indien zu erwirken stand außer Frage. Zu der Zeit, zu der ich nach London zurückkehren und die Auflösung durchgesetzt werden konnte, wäre das Kind bereits geboren gewesen.« Sie starrte ins Nichts. »Wenn Roseanne am Leben geblieben wäre, bin ich sicher, wir hätten den Skandal in Kauf genommen und einen Weg gefunden, die Ehe zu beenden - vorausgesetzt, das Kind hätte nicht darunter zu leiden gehabt.« Sie schaute zu ihm hoch, flehte um sein Verständnis. »Wir alle drei waren entschlossen, das Kind - und auch Roseanne - vor einem Leben in Schande zu bewahren. Wir hatten nicht alle möglichen Folgen bedacht, aber wir waren uns einig, dass, was die Welt betraf, ich diejenige war, die schwanger war. Innerhalb weniger Tage nach unserer Ankunft in Bombay habe ich dem Baron einen Brief geschrieben und ihn davon unterrichtet, dass ich ein Kind erwartete.«
»Ja, ich weiß«, sagte Marcus knapp, er erinnerte sich noch zu gut an die Wut und den Schmerz, den er bei der Nachricht empfunden hatte. Der Baron war so glücklich gewesen, hatte dauernd gelacht und unablässig von seinem ungeborenen Enkel gesprochen, während Marcus umhergeschlichen war und am liebsten die geballte Faust gegen irgendetwas aus Stein geschlagen hätte. Er holte tief Luft. »Er hat sogar Robert dafür gescholten, dass er so nachlässig dabei sei, selbst für Nachwuchs zu sorgen.«
»Du weißt aber«, erklärte Isabel ernsthaft, »dass wir zu der Zeit keine Ahnung hatten, dass Edmund am Ende der Erbe wäre. Wir gingen davon aus, dass Robert und seine Frau Georgine selbst Kinder bekommen würden. Selbst nach Hughs Tod und als Edmund und ich nach England zurückkehrten, waren alle, ich selbst eingeschlossen, davon überzeugt, dass sie, zumal sie bereits mehrere Jahre verheiratet waren, bald Nachwuchs bekämen.« Sie lächelte versonnen. »Ich erinnere mich noch gut, wie aufgeregt wir alle waren, als Georgine eines Tages verkündete, sie sei schwanger. Edmund freute sich auf einen Cousin zum Spielen, und der Baron war entzückt angesichts der Aussicht auf ein weiteres Enkelkind. Ich hoffte auf einen Jungen, Roberts Sohn und später sein Erbe.« Sie seufzte und schüttelte den Kopf. »Niemand hätte damit gerechnet, dass Robert und Georgine zusammen mit ihrem ungeborenen Kind bei diesem Segelunfall umkommen würden, sodass Edmund den Titel erbte.«
Wenn er alles bedachte, musste Marcus zugeben, dass er, wenn er - was der Himmel verhüten möge - sich in einer vergleichbaren Lage wie Hugh wiedergefunden hätte, er vermutlich ebenfalls alles unternommen hätte, damit das Kind nicht unter den Fehlern seines Vaters zu leiden hätte. Oder dass die Frau, die er liebte, nicht vor der Welt mit Schande befleckt würde. Er machte Hugh keinen Vorwurf daraus, dass er Roseanne hatte schützen und die Stellung seines Sohnes sichern wollen. Was den Umstand betraf, dass Edmund Lord Mannings Nachfolger werden würde … nun, Isabel hatte recht. Niemand hatte mit Roberts und Georgines Unfalltod gerechnet. Mit gerunzelter Stirn schaute er auf seine bloßen Füße, die unter dem Saum seines Morgenrockes hervorschauten. Er wollte auf irgendjemanden wütend sein, ihn beschimpfen und Hugh wegen all der verlorenen Jahre schmähen, aber das konnte er nicht. Isabel hatte vielleicht eine Lüge gelebt, den Sohn einer anderen als ihr Kind ausgegeben, aber war irgendetwas Schlimmes geschehen? Roseanne Halford wäre eine durchaus passende Braut für Hugh gewesen, und wenn sie geheiratet hätten, wäre Edmund Lord Mannings Enkel und damit rechtmäßiger Erbe des Titels und der Ländereien. Wem wäre geschadet, wenn er zuließ, dass die Lüge fortgeführt wurde?
Einen Augenblick dachte er an Garrett Manning, dann zuckte er die Achseln. Garrett war
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