Sturm der Herzen
erwartete.« Sie schaute in die Ferne und sagte leise: »Als wir sie beerdigten, war sein Kummer so schlimm, der Verlust so schwer und so frisch, dass ich Angst hatte, er würde sich zu ihr ins Grab stürzen. Ich bin davon überzeugt, dass einzig der Umstand, dass Edmund da war, ihn davon abgehalten hat, auch seinem Leben ein Ende zu setzen.« Sie setzte sich aufrechter hin und wischte sich die Tränen aus den Augen. Mit kräftigerer Stimme fuhr sie fort: »Dass Evans wusste, dass die Mutter des Kindes gestorben war, hat uns große Sorge bereitet, aber wir konnten nichts dagegen unternehmen. Er war ein wortkarger Mann, der sich nicht gerne unter Leute begeben hat und lieber allein war, zudem nur selten die Gegend verließ, wo wir wohnten. Selbst wenn er etwas sagte, hätte unser Wort gegen seines gestanden, und außerdem: Warum sollte ich das Kind einer anderen als meinen Sohn ausgeben?« Sie seufzte. »Seine Mitwisserschaft hat an uns genagt, aber wir wollten die Sache auch nicht schlimmer machen, indem wir ihm Geld boten, damit er den Mund hielt. Wir mussten uns einfach darauf verlassen, dass das Schicksal es gut mit uns meinte.«
»Das war doch aber ziemlich riskant, oder?«
»Furchtbar. Aber zu der Zeit ist uns nichts eingefallen, was das Risiko verringert hätte.«
»Denkst du, dass Whitley mit ihm gesprochen hat? Und dass das, was er von Evans erfahren hat, ihn auf deine Fährte gesetzt hat?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin mir sicher, dass das nicht geschehen ist. Im nächsten Jahr ist Evans in der Regenzeit bei dem Versuch ertrunken, einen Fluss zu überqueren, meines Wissens sind sich Evans und Whitley nie begegnet.«
Dass Evans die Wahrheit gewusst hatte, störte Marcus, aber er vermutete, wenn Whitley tatsächlich mit dem Mann gesprochen hätte und gewusst hätte, dass es die Gesellschafterin gewesen war, die ein Kind geboren hatte, und nicht Hughs Ehefrau, dann wäre sein Erpressungsversuch unverschämter gewesen. Sein ganzes Verhalten schmeckte nach einem Mann, der nicht viel in der Hand hatte.
Isabel unterbrach seine Gedanken und sagte: »Wir haben Edmunds Geburt beinahe sechs Wochen geheim gehalten, dann musste Hugh so tun, als sei sein Sohn gerade erst geboren, und das während er immer noch um Roseanne trauerte. Und weil Edmund ja angeblich ein Neugeborenes war, in Wahrheit aber schon eineinhalb Monate alt war, musste ich noch mehrere Wochen mit ihm zurückgezogen leben, ehe ich mit meinem vermeintlich einen Monat alten Sohn nach Bombay zurückkehren konnte.« Sie lächelte. »In seinem ersten Lebensjahr haben sich immer alle gewundert, dass er ein für sein Alter so großes Kind war.«
»Und du hast nichts dagegen einzuwenden gehabt, dass du in diese Lage gedrängt wurdest?«, fragte Marcus mit hochgezogener Braue.
Isabel schüttelte den Kopf. »Ich habe Edmund von dem Augenblick seiner Geburt an geliebt, wie ich auch seine Mutter geliebt habe. Ich habe ihr versprochen, dass ich ihn immer schützen würde, und das war ein Versprechen, das leicht zu halten war.«
»Mir ist aufgefallen, dass du gesagt hast, du habest Edmund und seine Mutter geliebt, aber nichts von Hugh. Hast du ihn nicht geliebt?« Während er auf ihre Antwort wartete, zerfraß ihn innerlich die Eifersucht, und er schämte sich seiner Gefühle.
»Ich habe Hugh geliebt«, räumte Isabel ein, »aber mehr wie einen großen Bruder. Er war immer sehr freundlich und rücksichtsvoll zu mir.« Sie schaute ins Feuer, war in Gedanken weit weg. »Ich kann nicht sagen, was geschehen wäre, wenn er am Leben geblieben wäre. Ich wäre nie die Liebe seines Lebens gewesen und er nie meine, aber es wäre uns sicher gelungen, zusammen ein angenehmes Leben und eine echte Ehe zu führen.«
Marcus gefiel es gar nicht, dass sich bei diesen Worten ein Loch in seinem Magen auftat. Er war ihr vielleicht in den vergangenen zehn Jahren geflissentlich aus dem Weg gegangen, aber da war immer ein Teil von ihm gewesen, der froh darüber war, dass sie auf Manning Court lebte … Und er war sich des Umstandes immer bewusst gewesen, dass sie keinen Ehemann hatte
»Was ist mit dem Anhänger?«, fragte er abrupt.
»Der gehörte Roseanne. Wenn du ihn dir genauer ansiehst, kannst du ihre Initialen in dem eingravierten Muster vorne sehen, R.H.« Sie runzelte die Stirn. »Ich habe keine Ahnung, wie er in Whitleys Hände gelangt ist. Ich kann nur annehmen, dass Hugh ihn aufgehoben hat, weil er sich nicht davon trennen konnte und ihn nicht vernichten
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