Sturm der Herzen
Bett gekauert, völlig verängstigt. Hugh ist nach unten gegangen und hat sich gründlich betrunken.«
Marcus versuchte vergeblich, Mitgefühl für Hugh zu empfinden, aber es bereitete ihm keine Schwierigkeiten, Isabels Vorgehen zu applaudieren. »Und am nächsten Morgen? Was ist dann geschehen?«
»Hugh war sehr freundlich. Er hat gesagt, dass wir beide unter großer Anspannung stünden und außerdem noch ein ganzes Leben zusammen hätten; es gab keinen Grund zur Eile. Sein Schiff nach Bombay sollte zwei Tage später in See stechen, und wir hatten noch viel zu tun, ehe er abfahren konnte. Er sagte, wir könnten mit den Intimitäten warten, bis ich ebenfalls in Indien einträfe, er versprach, dass er mir den Hof machen wollte, mich umwerben, wie es sich eigentlich vor einer Heirat gehört. Und erst, wenn ich dazu bereit wäre, würden wir die Ehe vollziehen.«
Marcus fand an dieser Logik nichts auszusetzen. »Aber ich nehme an, Roseanne ist aufgetaucht, ehe dieser bewundernswerte Plan in die Tat umgesetzt werden konnte, richtig?«
»Ja. Hugh hat alles geregelt, ich sollte ihm auf einem Schiff folgen, das zwei Wochen nach seinem in See stechen würde. Er hat eine Anstandsdame für mich gefunden und mit einem jungen Kollegen, einem gewissen Mr Akridge, gesprochen, der seine Passage auf demselben Schiff gebucht hatte, damit er als mein Begleiter fungiert. Ehe er aufbrach, hat er Konten für mich eingerichtet, die mir zur Verfügung standen, und ich habe eine Liste mit Einkäufen erhalten, die ich erledigen sollte - oder besser sein Mittelsmann in London, Mr Babb.« Sie lächelte schwach. »Hugh war sehr fähig, er hat dafür gesorgt, dass ich mir um nichts Sorgen machen musste.«
»Bis Roseanne auf deiner Türschwelle erschien. Was, nehme ich an, dann geschehen ist.«
Isabel nickte. »Ja, genau einen Tag, nachdem Hugh in See gestochen war. Sie war vollkommen verängstigt, fürchtete, ihr Vater könne sie finden, und war zudem erschöpft von der gehetzten Reise, denn sie wollte Hugh erreichen, ehe er London verließ. Mich anzutreffen hat sie am Boden zerstört.« Isabel erschauerte. »Ich werde nie den Ausdruck auf ihrem Gesicht vergessen oder das Entsetzen in ihrer Stimme bei ihrem Ausruf: ›Seine Frau? ‹, ehe sie ohnmächtig zu meinen Füßen zusammengebrochen ist.«
»Das kann auch für dich nicht angenehm gewesen sein.«
»Nein, war es nicht! Noch bevor sie wieder zu sich kam, habe ich dem Butler aufgetragen, sie in eines der Schlafzimmer oben zu bringen und einen Arzt gerufen. Er hatte gerade angefangen, sie zu untersuchen, als sie das Bewusstsein erlangte.« Sie schüttelte den Kopf. »Arme Roseanne! Sie war so durcheinander und verwirrt, so verängstigt und erschreckt, als sie in einem fremden Schlafzimmer mit einem fremden Mann aufwachte, der sich über sie beugte. Wir haben eine Weile benötigt, um sie zu beruhigen und ihr zu versichern, dass sie in Sicherheit war und wir ihr nichts Böses antun wollten.«
Isabel nahm einen Schluck Brandy, den Blick auf das Feuer gerichtet, sie war in Gedanken weit weg. Schließlich schüttelte sie den Kopf und schaute Marcus an. »Sie hatte ein sehr behütetes Leben geführt. Sie war so lieb und gut, sie wäre für Hugh perfekt gewesen.« Sie lächelte schwach, als die Erinnerungen zurückkehrten. »Roseanne war liebenswürdig und fügsam, wollte es immer allen recht machen, man konnte nicht anders, als sie zu mögen.«
»Du hast es jedenfalls getan.«
Sie nickte. »Als sie am Ende starb, habe ich sie von Herzen gern gehabt, ja geliebt, und ich hätte alles für sie getan. Ich weiß, das fällt dir sicher schwer zu glauben - wir kannten uns ja noch nicht lange, aber sie wurde mir in der kurzen Zeit, die wir gemeinsam hatten, die Schwester, die ich nie hatte. Zwischen uns gab es keine Eifersucht; ich habe Hugh ja nicht geliebt, war nie in ihn verliebt, und mehr als alles andere auf der Welt habe ich mir gewünscht, dass sie zusammen sein könnten - wie es eigentlich auch richtig war. Ich habe mir die Schuld an der Lage gegeben, in der wir uns befanden, aber Roseanne«, ihre Augen füllten sich mit Tränen, »Roseanne hat die Verantwortung für alles auf sich genommen und versucht, mich zu trösten.«
»Ich möchte dich daran erinnern, dass es kaum deine Schuld ist. Hugh hätte nie mit einem jungen Mädchen, das kaum dem Schulzimmer entwachsen ist, durchbrennen dürfen! Falls jemand die Schuld dafür trägt«, bemerkte Marcus entschieden, »dann er. Nicht du und
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