Sturm der Herzen
Machtvolleres erkannt?
Blindlings schaute er auf die weiße Tischdecke vor sich. Bis zum heutigen Tag konnte er sich noch so klar und deutlich, als sei es erst gestern gewesen, an den Moment erinnern, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Sie war ein Säugling gewesen, noch kein halbes Jahr alt, aber sie hatte schon einen Schopf leuchtend roter Haare gehabt und griff mit ihren beiden winzigen Händchen nach allem, was sie haben wollte. Er lächelte. Noch zu gut wusste er, wie ihre Augen mit dem blauen Schimmer ihn erblickt hatten. Neun Jahre war er damals gewesen. Er hatte Denham Manor mit seinen Eltern besucht, und Sir George hatte stolz seine Tochter gezeigt. Den entzückt gurrenden Erwachsenen hatte die kleine Isabel weiter keine Beachtung geschenkt, sondern ihren Blick auf ihn gerichtet, gurgelnd gelacht und mit beiden Händen nach seinen gegriffen. Zögernd und auf Drängen seiner Mutter hin hatte er ihr den Zeigefinger hingehalten. Mit einem weiteren fröhlichen Gurgeln hatten sich Isabels Finger darum geschlossen, und einen Augenblick hatten sie einander einfach nur angesehen.
Marcus schüttelte den Kopf bei der Erinnerung. Konnte das Band zwischen ihnen damals entstanden sein? Es schien absurd, das auch nur in Erwägung zu ziehen, er war schließlich zu der Zeit ein Schuljunge gewesen, für den Babys nicht unbedingt das Interessanteste auf der Welt waren, aber in dem Moment war etwas Wichtiges zwischen ihnen geschehen.
»Du bist so ruhig. Was denkst du?«, fragte Isabel.
»Ach, ich habe nur daran gedacht, wie ich dich zum ersten Mal gesehen habe«, erwiderte er mit einem Grinsen. »Du warst noch ein Baby und damals schon entschlossen, dass alles nach deinem Willen geht.«
Sie erwiderte sein Grinsen. »Manche Dinge ändern sich einfach nie, was?«
Er lachte. »Allerdings nicht! Nun, wie würdest du denn gerne den heutigen Tag verbringen?«
Mit einem übermütigen Funkeln in den Augen sagte sie: »Deine Ställe besichtigen. Ich möchte mich persönlich davon überzeugen, dass du angemessene Unterbringungsmöglichkeiten für meine Pferde besitzt, besonders, wenn Tempest hier im Stall stehen soll.«
Genau das taten sie dann, während sie durch die Ställe schlenderten und Isabel sich alles genau besah, lächelte Marcus, der ihr dabei zusah, und musste daran denken, dass nur wenige frischgebackene Ehefrauen den Wunsch verspüren würden, den ersten Tag ihrer Ehe damit zu verbringen, die Gänge zwischen den Boxen in einem Stall nach dem anderen hinabzulaufen. Mit unermüdlicher Energie schleppte sie Marcus mit sich, inspizierte die Gebäude, die Sattelkammer und die Tiere; sie unterhielt sich kenntnisreich mit den Pferde- und den Stallburschen, besah sich die eingezäunten Pferdekoppeln in der Nähe und rundete alles mit einem längeren Gespräch mit seinem Oberstallmeister Worley ab.
Marcus sagte nur wenig, er war es zufrieden, seine Frau einfach zu beobachten, einfach in ihrer Nähe zu sein, aber er vermutete, dass sein Geldbeutel wesentlich leichter wäre, ehe Isabels Vorstellungen davon, wie ihre Pferde untergebracht sein sollten, verwirklicht waren. Und er hatte recht.
So war es später Nachmittag, als sie langsam zum Haus zurückkehrten. Ihre Hand ruhte auf seinem Arm, und sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander, genossen den lauen Maitag, die milde Luft, die nach Apfelblüten und Rosen duftete.
»Nun?«, fragte Marcus schließlich.
Sie schaute zu ihm hoch. »Es wird eine Menge Geld kosten.«
Er nickte, und in seinen grauen Augen lauerte ein Lächeln. »Nach dem, was ich von deiner Unterhaltung mit Worley mitbekommen habe, war ich auch schon zu dem Schluss gekommen.«
»Ich verfüge über eigenes Geld, wie du sicher weißt«, stellte sie spitz fest. »Du musst nicht alles aus deiner Börse bestreiten.«
»Isabel«, sagte er warnend.
»Nun, dann nicht. Worley und ich sind beide der Ansicht, dass wir mindestens einen zusätzlichen Stall benötigen.« Als Marcus mit ausdrucksloser Miene schwieg, fügte sie hinzu: »Zwei wären besser. Denn ich besitze nun einmal mehrere eigene Pferde. Wir denken, dass ein oder zwei überdachte Verbindungswege zwischen den verschiedenen Ställen es für Mensch und Tier angenehmer machten, von einem zum anderen zu gelangen, wenn das Wetter einmal ungemütlich ist.«
»Angenehmer«, sagte Marcus ausdruckslos, dachte an die drohenden Bauarbeiten und die Unruhe, die sie monatelang mit sich bringen würden - für ihn, für die Pferde und für die im Stall
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