Sturm der Herzen
er trat erst durch die Tür, nachdem Whitley bereits aufgesessen war und als er gerade aus dem Hof ritt. Er erreichte sein eigenes Pferd rasch, das ein Stück abseits der Straße festgebunden war, schwang sich in den Sattel und folgte Whitley diskret.
Er wartete, bis sie das Dorf hinter sich gelassen hatten, ehe er zuschlug. Er trieb sein Pferd zum Galopp an und hielt auf sein Opfer zu.
Whitleys Verstand war vom vielen Trinken benommen, und er war völlig in Gedanken, sodass er von der drohenden Gefahr nichts ahnte, bis es zu spät war. Er hörte ein Pferd hinter sich, hatte aber nur den Bruchteil einer Sekunde, um zu begreifen, dass es viel zu schnell näher kam und auf dem schmalen Weg gleich mit seinem zusammenstoßen würde, ehe sein Kopf in einem brennenden Schmerz und blendendem Licht explodierte.
15
W hitley wachte mit einem grässlich schmerzenden Kopf auf und dem Geruch der See in der Nase. Vor Schmerz stöhnend blickte er sich um, stellte erstaunt fest, dass er sich in einer der vielen Höhlen entlang der Küste befand, die geduldig von der Brandung des Ärmelkanals aus dem Felsen gewaschen worden war. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten? Er bemühte sich, sich auf dem kiesbestreuten Boden aufzurichten, aber dann bemerkte er, dass er an Händen und Füßen gefesselt war, und verspürte zum ersten Mal Angst. Als sein Blick schließlich auf den Gentleman fiel, der lässig gegen die Felswand gelehnt dastand, wusste er, dass er nicht allein war.
» Bon! «, sagte der Fremde. »Sie sind endlich wach.«
»Wo bin ich?«, krächzte Whitley.
»Das ist unerheblich, mon ami« , antwortete der andere Mann. »Was dagegen von Bedeutung wäre, sind die Antworten, die Sie mir auf die Fragen geben werden, die ich Ihnen stelle, oui ?«
Whitley überlegte fieberhaft und versuchte, seinen Kopf zu klären, zu begreifen, was eigentlich geschehen war. Er erinnerte sich daran, letzte Nacht im Stag Horn getrunken zu haben, erinnerte sich vage, auf seinem Pferd geritten zu sein.
Whitley drehte sich um, spähte zum Höhleneingang und dem fahlen Licht dort. Es war Tag, also war einige Zeit verstrichen. Himmel! Er wünschte, er könnte klar denken. Wenn nur das ständige Pochen in seinem Kopf nachlassen würde!
Er schaute zu dem anderen, versuchte ihn einzuschätzen. Der Fremde, der ihn mit einem kühlen Lächeln betrachtete, war groß, schlank, aber muskulös, und seine Kleider - von der Nankinghose zu dem wie angegossen sitzenden dunkelblauen Rock - waren die eines Gentlemans. Seine Züge waren gleichmäßig und nicht unattraktiv, sein Haar dunkel genauso wie sein Teint. Wegen seines Akzentes und der vielen französischen Wörter nahm Whitley an, dass er Franzose war.
Erregung erfasste ihn. Er richtete sich in eine sitzende Stellung auf, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Felswand und erklärte: »Dann hat Collard also doch die Nachricht überbracht.«
Der Fremde nickte. » Oui.«
Sich in seiner gegenwärtigen Lage nicht wohl fühlend, aber etwas erleichtert, verlangte Whitley zu wissen: »Aber warum hat er mich angelogen? Und wer sind Sie? Warum behandelt man mich so? Charbonneau wird zweifelsfrei von Ihrem anmaßenden Tun hören, das kann ich Ihnen sagen, und es wird ihm nicht gefallen. Wir sind gute Freunde.«
»Monsieur Whitley«, erwiderte der Fremde, »wir werden viel besser miteinander auskommen, wenn Sie mich die Fragen stellen lassen.«
»Ich werde keine einzige Ihrer Fragen beantworten, bis Sie mir erläutert haben, worum es hier geht«, empörte sich Whitley. »Sie hatten die Frechheit, mich zu fesseln wie einen gewöhnlichen Verbrecher, und das sagt mir kein bisschen zu.« Mit gerunzelter Stirn wollte er erneut wissen: »Wer, zur Hölle, sind Sie?« Die Brauen des Fremden hoben sich bei Whitleys Tonfall, aber er antwortete nicht. Zuversichtlicher und verärgerter erklärte Whitley erbost: »Das hier ist unglaublich! Ich bin britischer Bürger, und dies ist britischer Boden: Sie haben kein Recht, mich so zu behandeln. Ich bestehe darauf, dass Sie mich augenblicklich losbinden!«
Der Fremde richtete sich aus seiner lässigen Haltung auf, kam zu Whitley und trat ihn völlig ungerührt ins Gesicht. Whitley schrie vor Schmerz auf, und Blut strömte ihm aus Nase und Mund.
»Zunächst einmal, fürchte ich, befinden Sie sich nicht in der Stellung, auf irgendetwas zu bestehen, und außerdem habe ich Ihnen doch gesagt«, verkündete der Gentleman im besten Englisch, »dass ich hier die Fragen stelle.«
Vor
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