Sturm der Herzen
fielen.
Mit ausdrucksloser Miene, das Kinn vorgeschoben, starrte er auf das Memorandum in seiner Hand. Das Erpresserschreiben hatte das vermisste Memorandum nicht erwähnt, aber sobald er gelesen hatte, dass man als Gegenleistung für Isabels Freilassung Whitleys Mantel wollte, hatte Marcus gewusst, woran Isabels Entführer interessiert waren. Er fluchte haltlos, dass er nicht schon vor Tagen erkannt hatte, dass genau das, wonach sie gesucht hatten, in seinem Stallbüro an der Wand hing.
Ohne den Blick von den Papieren in seiner Hand abzuwenden, sank er auf einen Stuhl hinter seinem Schreibtisch; in ihm rangen Entsetzen und Verzweiflung miteinander. Wie sollte ich, fragte er sich benommen, nicht die Frau retten, die ich mehr liebe als mein Leben? Aber wie viele Leben wird es kosten, wenn ich ihnen das hier überlasse? Werde ich dann nicht selbst zum Verräter, wenn ich ihnen gebe, was sie verlangen? Sein Herz zog sich gequält zusammen. Er konnte sich ein Leben ohne Isabel an seiner Seite nicht vorstellen, konnte sich nicht vorstellen zuzulassen, dass sie starb, wenn er doch die Chance hatte, sie zu retten, aber wie konnte er andererseits in dem Wissen weiterleben, dass er sich ihre Sicherheit mit den Leben vieler loyaler Engländer erkauft hatte?
Er holte tief Luft. Die Möglichkeit, Wellesleys Pläne zu ändern, war bereits erwähnt worden; wurde dadurch das Memorandum vor ihm für die Franzosen nicht völlig nutzlos? Konnte er nicht mit reinem Gewissen den Plan Isabels Entführern übergeben und dafür seine Frau unversehrt zurückerhalten? Einen kurzen Moment erwog er es, aber er wusste, so einfach war das nicht.
Marcus war kein Militärstratege, aber er verstand, wie wichtig die Landung in Portugal für sein Land und für dessen Verbündete war. Ja, andere Häfen, andere Landungsplätze konnten benutzt werden, aber Portugal hatte wirklich eine Schlüsselposition, um Napoleons Würgegriff um den ganzen europäischen Kontinent zu brechen. Und er, Marcus Sherbrook, hatte das Dokument in der Hand, das es ermöglichte, diese Pläne, die über Wochen und Monate hinweg sorgfältig angefertigt worden waren, auszuführen. Wenn die Pläne jedoch geändert wurden, ließ sich schwerlich sagen, wie viel schwieriger die Landung werden würde, wie viel mehr Menschen dabei umkommen würden.
Marcus stöhnte und barg sein Gesicht in seinen Händen. Seine Wahl war im Grunde ganz einfach: das Leben seiner Frau retten oder sein Land verraten.
17
M ehrere Minuten lang überließ sich Marcus der glühenden Verzweiflung, die angesichts der schrecklichen Alternative, vor die er gestellt war, über ihm zusammenschlug. Aber dann richtete er sich mit einem Mal auf, und seine Augen wurden schmal, als ihm eine Idee kam. Er betrachtete das Dokument vor ihm mehrere Minuten lang, rieb mit den Fingern über das Papier. Es war gewagt, was ihm eingefallen war, er rollte das Memorandum rasch wieder zusammen und steckte es in die Hülse aus wasserdichtem Öltuch und dann in Whitleys Mantel.
Er blies die Kerzen aus und warf sich Whitleys Mantel lässig über die Schulter, verließ das Büro im Stall und ging zum Haus zurück. Er hatte nicht viel Zeit. Der Treffpunkt war um Mitternacht, und vor ihm lag eine Menge Arbeit.
Ich werde die Bastarde mit ihren eigenen Waffen schlagen , überlegte er voller Genugtuung, und dann werde ich meine Frau zurückbekommen.
Ganz in seine Überlegungen versunken, nahm Marcus nichts von seiner Umgebung wahr, es kam ihm nicht einmal der Gedanke, dass er beobachtet werden könnte. Doch es wäre auch unwahrscheinlich gewesen, dass er den Beobachter, der zwischen den Büschen und Bäumen, die zur Auflockerung überall angepflanzt worden waren, versteckt war, entdeckt hätte, aber der ließ ihn nicht aus den Augen. Während Marcus rasch über den breiten Weg zum Haus schritt, hielt der Späher Schritt, glitt unsichtbar durch die herrlichen Gärten und Parkanlagen, die so hingebungsvoll von dem Obergärtner und seinen Gehilfen gepflegt wurden. Sobald Marcus durch die breite Eingangstür ins Haus gelangt war, schlich sein Verfolger um das Gebäude herum, entschlossen, Whitleys Mantel nicht aus den Augen zu verlieren. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, Marcus zu überfallen und ihm den Mantel einfach abzunehmen, aber nachdem er gesehen hatte, wie kräftig Marcus gebaut war, hatte er sich zu einem vorsichtigeren Vorgehen entschlossen.
Im Haus begab sich Marcus geradewegs in sein Arbeitszimmer und schloss hinter sich
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