Sturm der Herzen
festzuhalten. Seine Hände sanken an seine Seiten, und mit einem erstickten Schluchzen trat sie ein paar Schritte zurück. Ihre Wangen waren flammend rot geworden, und mit bebenden Fingern versuchte sie verzweifelt an ihrem Kleid zu ziehen, es wieder zurechtzuzupfen, während sie gegen die Verlegenheit und den Verdruss ankämpfte, die sie zu überwältigen drohten. Sie wollte ihn nicht ansehen, und ihre Stimme war von unterdrückten Tränen belegt, als sie hervorpresste: »Das hätte nie geschehen dürfen. Ich habe Hugh versprochen, dass ich immer … Ich hätte niemals … Verzeih mir!« Damit machte sie auf dem Absatz kehrt, raffte ihre Röcke und rannte vor ihm fort, als hinge ihr Leben davon ab.
Marcus starrte ihr verwundert nach in die Dunkelheit, in die sie entschwunden war. Was, fragte er sich, war das denn? Und was, zum Teufel, hatte sie Hugh versprochen?
5
M arcus runzelte immer noch die Stirn, als er einige Minuten später Sherbrook Hall betrat. In der Zeit, die er für den Ritt von Manning Court hierher benötigt hatte, hatte er über Isabels Reaktion nachgedacht. Sie war von seinem Kuss nicht abgestoßen gewesen. Sie hatte sich erst bereitwillig an der Umarmung beteiligt. Warum also war sie am Schluss fortgerannt? Er konnte verstehen, wenn sie aufhören wollte, bevor sie zu weit gingen, und er war insgeheim entsetzt, wie nahe er davorgestanden hatte, völlig den Kopf zu verlieren. Aber sicherlich gab es keinen Grund, einfach zu verschwinden. Und was, zum Teufel, hatte sie mit diesen kryptischen Worten gemeint? Besonders mit dem Teil über Hugh?
Da er Thompson zuvor aufgetragen hatte, nicht auf ihn zu warten, warf Marcus seine Reithandschuhe auf den Marmortisch in der eleganten Eingangshalle, nahm die brennende Kerze, die ihm sein Butler hingestellt hatte, und schlenderte in sein Arbeitszimmer. Nachdem er mehrere weitere Kerzen angezündet hatte, verbrachte er ein paar Minuten damit, im Kamin ein Feuer zum Brennen zu bringen. Nachdem ihm das gelungen war, goss er sich mit nachdenklicher Miene Brandy aus der Karaffe ein, die Thompson stets gefüllt auf einem Tablett auf einem Mahagonischränkchen bereithielt, und ging zu seinem Schreibtisch.
Er stellte sein Glas auf der Ecke ab und stand dann da, starrte blicklos darauf, war in Gedanken bei Isabel. Ein Teil von ihm war überaus zufrieden damit, wie sie auf seinen Kuss eingegangen war, aber am Ende … Eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn. Hugh Manning durfte, entschied er grimmig, in seiner Ehe oder gar im Ehebett keine Rolle spielen. Marcus würde dort keine Geister dulden.
Hugh Manning war seit zehn Jahren oder mehr tot, und Marcus fiel es sehr schwer zu glauben, dass Isabel ihren Ehemann noch liebte. Sie hatte seinen Kuss nicht wie eine Frau erwidert, deren Herz einem Toten gehörte. Sie war warm und willig gewesen; die Erinnerung daran, wie sie ihm die Arme um den Hals geschlungen hatte, wie sie ihre Lippen geöffnet hatte, bestätigten seine Einschätzung. Was also war schiefgegangen?
Das leidenschaftliche Zwischenspiel hatte Marcus erschreckt. Da sie heiraten würden, hoffte er natürlich, dass sie aneinander Gefallen finden würden, selbstverständlich auch körperlich. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, von dem heftigsten Verlangen, eine Frau zu haben, das er je erlebt hatte, so völlig überwältigt zu werden. Es kam ihm der Gedanke - und das mit nicht wenig Unbehagen -, dass er zum ersten Mal in seinem Leben von seinen Gefühlen beherrscht worden war. Wenn Isabel nicht dafür gesorgt hätte, dass sie aufhörten, hätte er am Ende die Grenze überschritten, und dieses Wissen störte ihn. Er hätte die Sache mit viel mehr Finesse behandeln sollen. Stattdessen, überlegte er ärgerlich, hatte er sich wie ein dummer Junge bei seiner ersten Frau aufgeführt.
Marcus hatte nicht das Alter von neununddreißig erreicht, ohne mit Liebesaffären Erfahrungen gesammelt zu haben. Er war bei seinen Eroberungen vielleicht diskret gewesen, aber er hatte nie das Leben eines Mönchs geführt, und es hatte mehr als eine kleine Balletttänzerin gegeben, die in all den Jahren seinen Schutz genossen hatte. Aber während er die Reize und die sinnliche Befriedigung zu schätzen wusste, die er in den Armen der verschiedenen Frauen erfahren hatte, die er aushielt, waren seine Gefühle nie über Lust und unter Umständen noch Belustigung über die Mätzchen der Damen hinausgegangen, wenn sie ihm irgendein weiteres Schmuckstück abschwatzen
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