Sturm der Herzen
Nachricht an seine Mutter würde er durch einen Diener nach London bringen lassen, die anderen konnten mit der Post geschickt werden.
Er betrachtete den Briefstapel eine ganze Weile. Sein Schicksal war besiegelt. Es war nicht nur heute Abend bei Lord Manning die Verlobung verkündet worden, sobald diese Briefe angekommen waren, würde sich die Nachricht wie ein Lauffeuer weiterverbreiten.
Er schob seinen Stuhl nach hinten, nippte von seinem Brandy und dachte über die Zukunft nach. Innerhalb weniger Monate wäre er ein verheirateter Mann, und sein Leben würde nie wieder dasselbe sein. Aber, ermahnte er sich, Isabel würde jeden Abend in seinem Bett liegen. Eine Ehe, stellte er fest, hatte auch eindeutig Vorteile.
Isabel lief in ihren Räumen auf Manning Court unruhig auf und ab. Ihr fiel einfach nichts Gutes ein, was ihre Ehe mit Marcus Sherbrook mit sich bringen würde. Im Grunde genommen sah sie nur Katastrophen vor sich.
Ihr Nachthemd, in dem sie vor den bodenlangen Fenstern mit Blick auf den Garten auf und ab lief, war aus feinstem Batist. Sie bemühte sich, nicht zum Rosenbogen zu schauen. Die eine Sache, über die sie auf keinen Fall nachdenken wollte, war das, was geschehen war, als sie in Marcus’ Armen den Kopf verloren hatte. Mit derselben eisernen Willenskraft, mit der sie seit Hughs Tod ihr Leben in die gewünschte Bahn gelenkt hatte, zwang sie nun ihre Gedanken von diesem leidenschaftlichen Zwischenspiel weg und erwog ihre Zukunft.
Wie hatte sich ihr Leben nur so dramatisch verändern können und das in weniger als vierundzwanzig Stunden? Es hatte doch vorher schon genug Schwierigkeiten gegeben, allerdings nichts, was ihrer verheerenden Ehe mit Marcus auch nur nahekam. Als sie heute Morgen aufgewacht war, hatte sie gewusst, dass sie mit Whitley reden müsste, um eine Lösung zu finden, aber sie hätte sich nie träumen lassen, dass sie am Ende des Tages mit Marcus verlobt wäre. Ein halb hysterisches Lachen entfloh ihr. Mit Whitley konnte sie fertigwerden, aber Marcus … Ihr Herz zog sich schmerzlich zusammen. Sie konnte nicht an Marcus denken, ohne von dem Gefühl geplagt zu werden, gleich in Tränen auszubrechen, daher beschloss sie, lieber für die Sache mit Whitley eine Lösung zu finden.
Whitley war ein Problem, das ließ sich nicht leugnen. Sie wusste bereits, dass es ein schlimmer Fehler gewesen war, ihm anfangs Geld zu zahlen und dass sie ihm keinen Penny mehr geben durfte - egal, womit er ihr drohte.
Isabel rieb sich den Kopf und ließ sich auf ihr Bett sinken. Ich hätte dem Mistkerl auch vor zwei Tagen nichts gegeben, wenn er mich nicht überrascht hätte, überlegte sie bitter. Ein kalter Luftzug ließ sie erzittern, als sie daran dachte, wie sie im Garten Blumen geschnitten hatte und beim Aufsehen Whitley entdeckt hatte, der vor ihr stand und wieder dieses hässlich niederträchtige kleine Lächeln im Gesicht hatte, an das sie sich noch gut erinnern konnte. Während sie in Indien gelebt hatten, hatte es sie oft in den Fingern gejuckt, ihm mit einer Ohrfeige das Grinsen auszutreiben; sie hatte festgestellt, dass das Jucken nicht verschwunden war. Sie hatte nie verstehen können, weshalb Hugh mit ihm befreundet gewesen war; sie selbst hatte ihn nie gemocht, unter anderem, weil er immer seine Nase in alles steckte.
Abscheu spiegelte sich in ihren Zügen wider. Wie oft hatte sie ihn damals dabei ertappt, wie er im Haus herumschnüffelte, einmal sogar in den Papieren auf Hughs Schreibtisch? Wie viele langweilige Nachmittage hatte sie in der drückenden Hitze Indiens gesessen und hatte den Ehefrauen von Hughs Kollegen zugehört, wie sie über Whitleys ständiges Herumschnüffeln geklatscht hatten. Ihre Lippen verzogen sich verächtlich. Die Frauen redeten zwar schlecht über ihn, aber sie alle luden ihn in ihre Häuser ein und benahmen sich, als fänden sie ihn ganz charmant. Ich habe es nicht anders getan , musste Isabel zugeben. Aber sie hatte ihn nie gemocht, vom ersten Moment an nicht, als Hugh sie einander vorgestellt hatte. Immerhin war sie nie Whitleys oberflächlichem Charme erlegen.
Die englische Gesellschaft in Bombay war klein und isoliert gewesen und, wie stets unter solchen Umständen, bezog man einen Großteil der Unterhaltung aus Mutmaßungen über das Tun und Lassen anderer. Das meiste war ganz unschuldig gewesen, aber Isabels Ansicht nach war immer etwas Unangenehmes an Whitleys Interesse an den Geschehnissen unter seinen Freunden und Nachbarn gewesen. Schon vor Hughs
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