Sturm der Herzen
wollten. Seine Mätressen hatten ein körperliches Verlangen befriedigt, und während er ihre Gesellschaft und ihre Gunst im Bett auch genoss, so war es für ihn doch eher wie ein besonders köstliches Essen oder eine erlesene Flasche Wein. Etwas, das man für den Augenblick genoss und dann vergessen konnte. Er bezweifelte, dass selbst wenn er hundert Jahre alt werden würde, er je die Feuersbrunst der Lust vergessen würde, die in dem Moment in ihm aufgeflammt war, da sein Mund Isabels berührt hatte. Was heute Nacht mit Isabel geschehen war, machte ihm bewusst, dass er bisher nie echtes Verlangen erlebt hatte - und das passte ihm gar nicht.
Solange Isabel leidenschaftlich und willig in seinen Armen lag, hatte sich die Welt an den Rand seiner Wahrnehmung zurückgezogen, und er war allem gegenüber blind, bis darauf, wie wunderbar sie sich in seinen Armen angefühlt hatte; er hatte nichts bemerkt als die berauschende Süße ihres Kusses und die erregende Weichheit ihres Körpers dicht an seinem. Er verspürte nur noch das drängende Verlangen, diese Röcke beiseitezuschieben und sich mit ihr zu vereinen. Wenn Isabel ihre Zärtlichkeiten nicht abgebrochen hätte, musste er sich erschreckt eingestehen, dann hätte er nicht verhindern können, was als Nächstes geschehen wäre. Er runzelte die Stirn, wusste genau, was geschehen wäre: Er hätte sie genommen, mitten im Garten - zur Hölle mit den möglichen Folgen.
Er schüttelte den Kopf. Etwas musste mit ihm nicht in Ordnung sein, entschied er. War er am Morgen noch völlig ahnungslos davon ausgegangen, dass der Tag nach demselben gemächlichen Muster ablaufen würde wie der davor, so hatte er kurz darauf schon einem Fremden gegenüber völlig unüberlegt erklärt, er sei mit einer Frau verlobt, der er in den letzten zehn Jahren aus dem Weg gegangen war, als hätte sie eine ansteckende Krankheit. Noch schlimmer, er hatte festgestellt, dass die Vorstellung, mit ihr verheiratet zu sein, überhaupt nicht abstoßend war. Nein, in keiner Weise, dachte er und musste wieder an ihren süßen Mund denken und wie sich ihr Po unter seinen Händen angefühlt hatte. Sein Körper reagierte unverzüglich, das Blut rann ihm heiß und zähflüssig durch die Adern … Und er begann sich zu fragen, ob er sich am Ende auf dem besten Wege befand, ein Lebemann und Schürzenjäger zu werden wie sein Großvater, der alte Earl.
Entsetzt von diesem Gedanken, in die Fußstapfen dieses Vorfahren zu treten, wandte sich Marcus resolut anderem zu. Mit grimmigen Zügen zog er sich seinen eng geschnittenen Rock aus feinster blauer Wolle aus, lockerte die gestärkte weiße Krawatte und warf beides über das ochsenblutfarbene Ledersofa am Kamin. Dann setzte er sich hinter seinen Schreibtisch und nahm einen Schluck Brandy, zog mehrere Blatt Papier hervor und begann zu schreiben.
Seine Mutter sollte als Erste davon erfahren, entschied er nach kurzem Überlegen. Er holte tief Luft und schrieb dann kurzentschlossen und mit raschen Federstrichen, dass er sich mit Isabel Manning verlobt hatte und die Hochzeit irgendwann im Sommer, vermutlich Ende Juli, Anfang August sein sollte. Nachdem er mit diesem ersten schwierigen Brief fertig war, fing er an, die restlichen zu verfassen. Schließlich lag ein Stapel Briefe auf seinem Schreibtisch, die alle im Wesentlichen dasselbe enthielten, was er auch seiner Mutter geschrieben hatte. Er machte eine kurze Pause und ging im Geiste die Namen der Leute durch, die von der Verlobung durch ihn persönlich hören sollten.
Die Familie Weston war groß und weit verzweigt; Marcus stand seinen Cousins Julian, Earl of Wyndham, und Charles nahe, im weiteren Sinn auch dem Ehrenwerten Stacey Bannister und dessen Mutter, der jüngsten Schwester seiner Mutter, doch es gab noch mehr Verwandte. Viel mehr, musste er zugeben und verzog das Gesicht; manche kannte er vermutlich gar nicht. Er seufzte. Der alte Earl war für seine zahlreiche Nachkommenschaft - zum größten Teil unehelich - bekannt gewesen, und Marcus war ehrlich dankbar, dass er die Verwandten, die auf der falschen Seite des Bettes geboren waren, einfach ignorieren konnte. Aber auch so waren da noch drei Tanten und zahlreiche Cousins.
Er kam zu dem Schluss, dass er seine Tanten unterrichten sollte, es aber ihnen überlassen konnte, die Nachricht an ihre Kinder weiterzugeben; er machte sich sogleich daran, erneut zu schreiben. Nachdem er die letzten drei Briefe verfasst hatte, betrachtete er zufrieden den Stapel. Die
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