Sturm der Herzen
ihn selbst mit ihrem Schwiegervater bekannt zu machen. Ihn zu Lord Manning zu bringen, wäre ein Risiko gewesen, aber es wäre den Versuch wert gewesen. Whitley konnte nichts mit Sicherheit wissen; sie und Hugh waren sehr vorsichtig gewesen, wussten, wie hoch der Einsatz war und dass ein falscher Schritt, ein Fehler tragische Folgen zeitigen würde. Es gab keinen Beweis, sagte sie sich wieder und wieder, aber selbst das Wissen darum konnte die Angst nicht vollends vertreiben, die an ihr nagte, oder ihr Entsetzen mildern.
Whitleys Reaktion auf ihre Weigerung, ihm mehr Geld zu geben, hatte Isabel nicht überrascht. Sie hatte gewusst, dass er gewalttätig werden konnte. Schließlich hatte sie einmal mit eigenen Augen gesehen, wie er die Beherrschung verloren hatte und in einem Wutanfall einen seiner indischen Diener mit der Peitsche geschlagen hatte. Isabel war sich sicher, dass nur Hughs beherztes Einschreiten dem Mann das Leben gerettet hatte.
Als sie an die Konfrontation mit Whitley heute Morgen zurückdachte, erkannte sie, dass sie besser vorbereitet hätte sein müssen. Es war unwahrscheinlich, dass Whitley Narr genug gewesen wäre, sie zu schlagen oder sie erheblich zu verletzen, aber sie begriff, dass die Lage gefährlich gewesen war. Isabel verzog das Gesicht. Ich hätte eine von Hughs Pistolen mitnehmen sollen und den Schuft erschießen. Einen Moment verweilte sie bei der befriedigenden Vorstellung von Whitley, wie er mit einem Loch in der Stirn tot auf dem Boden lag.
Sie lächelte grimmig, sie hätte es tun können. Hugh hatte es mit Unbehagen erfüllt, sie und Edmund in einem fremden Land allein zu lassen, manchmal mehrere Monate lang, während er für die Ostindische Handelsgesellschaft unterwegs war. Sie hatten keine Nachbarn in der Nähe, und die indischen Diener im Haus waren meist unzuverlässig, daher hätte sie niemanden gehabt, an den sie sich hätte wenden können, falls es zu Unruhen oder gar einem Aufstand gekommen wäre. Dazu kam noch, dass es dort haufenweise giftige Schlangen und gefährliche Raubtiere gab, und so hatte Hugh dafür gesorgt, dass sie sich mit Feuerwaffen auskannte. An den schwülen Morgen, ehe die Hitze völlig unerträglich wurde, war er, wenn er zu Hause war, mit ihr in den kühlen Dschungel gegangen, um ihr das Schießen mit verschiedenen Pistolen beizubringen. Ein bittersüßer Schmerz blühte in ihr auf. Diese Stunden gehörten zu den angenehmsten Erinnerungen an ihre Zeit in Indien. Hugh war stolz auf sie gewesen, und nach dem schwierigen Anfang ihrer Ehe - der Himmel konnte bezeugen, wie schwierig es gewesen war - hatte der Hoffnungsstreif am Horizont geschimmert, dass sie doch noch ein gewisses Maß an Glück miteinander finden könnten. Ihre Mundwinkel senkten sich. Dann hatte eine Königskobra alles zerstört.
Sie schüttelte die bedrückenden Gedanken ab, stand auf und begann, wieder auf und ab zu laufen. Sie hoffte, dass die Sache mit Whitley entschärft war, aber überzeugt war sie nicht. Er würde nicht so leicht aufgeben, und sie wusste, dass er zwar vielleicht für den Augenblick Ruhe hielt und in Deckung gegangen war, aber er lauerte nur darauf, sie zu überraschen und so zu erschrecken, dass sie wie ein verängstigter Sambar vor einem Tiger auf der Jagd davonlief. Aber jetzt war sie gewarnt und daher vorbereitet; sie war auf der Hut.
Isabel rieb sich die Stirn; die Kopfschmerzen, mit denen sie schon den ganzen Abend kämpfte, wurden immer schlimmer. Wie es ihr gelungen war, in den vergangenen Stunden das glückliche Lächeln auf ihrem Gesicht zu halten, war ihr selbst ein Rätsel. Ich muss doch eine bessere Schauspielerin sein, als ich immer dachte, überlegte sie. Weil mir nie zuvor in meinem Leben weniger nach Lächeln zumute war. Sie seufzte müde. Heute Nacht war ja erst der Anfang gewesen.
Während der kommenden Wochen und Monate würde es viele Gelegenheiten wie heute Nacht geben. Sie und Marcus müssten ständig, unter den wachsamen Augen interessierter Freunde und Verwandter in der Gegenwart des anderen sein. Die ganze Gegend wäre wegen ihrer Hochzeit in Aufregung, und sie müsste die ganze Zeit lächeln und so tun, als habe sie keine Angst um die Zukunft, Angst davor, sich zu vergessen und sich in Marcus Sherbrooks Armen zu verlieren.
Ein Zittern, halb Furcht, halb Lust, durchrann sie bei der Erinnerung an seinen warmen Mund. Sein Kuss war genau so gewesen, wie sie es sich in ihrer Dummheit erträumt hatte, einen köstlichen kurzen Moment hatte
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