Sturm der Herzen
des Umstandes bewusst, dass er nur begrenzt Zeit hatte, schaute er nach weiteren Geheimverstecken, aber seine Suche blieb erfolglos. Nachdem er die Sachen des Majors gründlich durchgesehen hatte, sorgsam darauf bedacht, keine Spuren seines Tuns zu hinterlassen, hatte er nichts Außergewöhnliches entdeckt. Der Major besaß einen Hang, den Dandy zu geben, wenn die Menge gestärkter Halstücher, Taschenuhren und Siegel, Herrenschmuck und drei verschiedene Lorgnons, alle mit unterschiedlich gestalteten Griffen, als Beweis zählten. Es gab auch ein Paar hellgelber Pantalons und eine kirschrot gestreifte Weste, bei deren Anblick Marcus unwillkürlich zusammenzuckte.
Enttäuscht, aber nicht willens, sich geschlagen zu geben, wandte Marcus seine Aufmerksamkeit dem Bett des Majors zu. Trotz einer vorsichtigen Untersuchung der Kissen und des Bettzeuges, fand er nichts Interessantes. Gerade, als er sich zum Gehen anschickte, blickte er noch einmal zu dem Bettgestell. Er hatte das Bett selbst durchsucht, aber was war mit dem Platz darunter?
Er kam sich zwar albern vor, aber er kniete sich dennoch hin und leuchtete mit der Kerze unter das Bett. Im Lichtschein entdeckte er eine kleine, jungenhafte Gestalt, die sich dort zusammengerollt hatte. Schatten tanzten über ein Gesicht, das er überall auf der Welt wiedererkannt hätte.
»Isabel?«, gelang es ihm zu krächzen.
7
M arcus!«, rief sie mit vor Schreck geweiteten Augen, als sie begriff, dass der grimmig blickende Mann, der sie in dem flackernden Licht anstarrte, niemand anderer als ihr Verlobter war. »Was tust du hier?«, wollte sie wissen und wand sich unter dem Bett vor.
»Ich denke«, sagte Marcus trocken, nachdem er ihr Platz gemacht hatte, sodass sie aus ihrem Versteck kriechen konnte, »das ist meine Frage an dich.«
Er stand auf und half ihr auf die Füße. Wenn er sie nicht so gut kennen würde, hätte er gedacht, er stünde einem Jungen gegenüber. Ihr rotes Haar hatte sie unter einer Knabenmütze versteckt, und sie trug eine Männerjacke, die schon bessere Tage gesehen hatte, sowie ein Paar Hosen und abgestoßene Stiefel, sodass sie mühelos als junger Bursche von vielleicht zwanzig Jahren durchgegangen wäre.
Sie wich seinem Blick aus, senkte den Kopf und rieb an den Staubflecken herum, die die Vorderseite ihrer Jacke und ihrer Hosen verunzierten. Ihre Gedanken waren ein wildes Durcheinander. Wie, fragte sie sich verzweifelt, sollte sie das hier je erklären? Es gab ganz einfach keine Erklärung, wenigstens keine vernünftige, entschied sie bedrückt. Sie riskierte einen Blick zu ihm und fragte: »Wie hast du mich gefunden?« Ihr fiel etwas ein, und sie musterte ihn aus vorwurfsvoll zusammengekniffenen Augen. »Bist du mir gefolgt?«, fragte sie.
Mit unnachgiebiger Miene sagte Marcus leise: »Das wird so nicht gehen, meine Süße. Es gibt eine Reihe von Gründen, weshalb ich hier sein kann, keiner davon, das gebe ich gerne zu, lässt mich in einem guten Licht erscheinen, aber deine Lage ist noch wesentlich weniger beneidenswert. Ich habe meine Verlobte soeben dabei ertappt, wie sie sich im Schlafzimmer eines Mannes versteckt, von dem sie behauptet, sie schätze ihn nicht sonderlich.« Mit kühl blickenden Augen stellte er fest: »Ich finde, du schuldest mir eine Erklärung.«
Von unten erklang raues Gelächter, was sie beide daran erinnerte, wo sie sich befanden, sodass sie sich fast gleichzeitig zum offenen Fenster begaben.
»Das hier ist nicht der geeignete Ort für die Unterhaltung, die wir führen müssen«, erklärte Marcus, als sie neben dem Fenster standen, »aber glaube mir, Isabel, wir werden sie führen.«
Damit schwang er ein Bein über das Fensterbrett, blies die Kerze aus und sagte: »Wenn es dir nichts ausmacht, werde ich vorangehen.« Unverblümt fügte er hinzu: »Ich traue dir nicht, vielleicht läufst du weg, sobald deine Füße den Boden berühren.«
Isabel wurde rot, was er dank der Dunkelheit nicht sah; genau der Gedanke war ihr gekommen. Sie fand sich damit ab, dass sie sauber ausmanövriert war, und nickte rasch. Mit gerunzelter Stirn beobachtete sie, wie er behände aus dem Fenster und an den Efeuranken nach unten kletterte, dann in der Dunkelheit verschwand. Der gefährlich aussehende Mann, der ihr heute Nacht gegenübergestanden hatte, war nicht der Marcus, den sie ihr Leben lang gekannt hatte. Von dem Platz unter dem Bett hatte sie anhand der Geräusche erkannt, dass wer auch immer durch dasselbe Fenster wie sie selbst vor
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