Sturm der Herzen
später. Marcus verzog das Gesicht, er mochte diese Vorstellung gar nicht.
Er befand sich, räumte er mürrisch ein, in einem echten Dilemma. Je mehr er darüber nachdachte, desto leerer wurde sein Kopf bei der Suche nach einer Erklärung, die er Jack wegen Isabels Anwesenheit geben musste, selbst wenn er dabei ausließ, wo genau er sie gefunden hatte, und ganz zu schweigen davon, dass sie wie ein junger Bursche gekleidet war. Welchen Grund konnte das eigentlich überhaupt haben? Er hatte selbst keine Erklärung dafür, und die würde er auch nicht bekommen, bis er Zeit hatte, ungestört eine längere Unterhaltung mit Isabel Manning zu führen, was in der kurzen Zeit passieren musste, bevor Jack zu ihnen stieß.
Während die bislang unbeantwortete Frage, weshalb sie sich in Whitleys Zimmer aufgehalten hatte, innerlich an ihm nagte, erkannte er, dass es vermutlich einfacher wäre, die Unterredung mit Isabel auf morgen zu vertagen und sie heimreiten zu lassen, ehe Jack kam. Was ein neues Problem für ihn schuf. Es behagte ihm überhaupt nicht, sich vorzustellen, dass sie allein durch die Dunkelheit nach Manning Court ritt. Selbst ohne die Sache mit Whitley lehnte sich jede Unze Beschützerinstinkt in ihm dagegen auf, eine vornehme Dame ohne Begleitschutz durch die Nacht reiten zu lassen. Dass sie genau das heute schon einmal getan hatte, um hierher zu gelangen, half auch nicht. Dass sie und Jack sich unter solchen Umständen kennen lernten war ebenso schrecklich; er konnte sich nicht entscheiden, welche der beiden wenig begehrenswerten Möglichkeiten die beste wäre.
Er ritt zu dem Gehölz auf der Rückseite der Ställe und betrachtete das Problem von allen Seiten. Er war zu keiner Lösung gekommen, als er die Pferde unweit der Stelle anhalten ließ, wo er sein Pferd vorhin festgebunden hatte. Marcus gefiel es nicht, aber wie es aussah, würden Isabel und Jack heute Nacht Bekanntschaft schließen, wenn ihm nicht noch ein Ausweg einfiel. Er wandte sich an Isabel und sagte: »Wir werden hier warten. Er braucht bestimmt nicht mehr lange.«
»Auf wen warten wir denn?«, wollte sie neugierig wissen.
»Auf meinen Cousin Jack.«
Sie musterte seine in der Dunkelheit nur als Umriss zu erkennende Gestalt. Es war schlimm genug, dass Marcus sie in Whitleys Schlafzimmer gefunden hatte; der Gedanke, dass jemand anderer, ein Fremder, davon erfahren sollte, war ihr äußerst unangenehm. »Ähm, meinst du, das ist klug?«, fragte sie leise. »Ich möchte nicht, dass jemand anderer von heute Nacht erfährt, noch nicht einmal dein Cousin.«
»Nein, klug ist es vermutlich nicht«, entgegnete er scharf, »aber mir bleibt kaum etwas anderes übrig. Ich bin alles andere als glücklich darüber, dass du Jack auf diese Weise triffst.« Wenn er an all die Schwierigkeiten dachte, die vor ihm lagen, überkam ihn das heftige Gefühl, vom Schicksal ungerecht behandelt worden zu sein. Isabel unter Whitleys Bett versteckt zu finden, war ein Schlag in die Magengrube gewesen. Warum war sie dort gewesen? Weshalb als Junge verkleidet? War das wegen irgendeiner perversen Vorliebe Whitleys? Sein Magen hob sich bei dem Gedanken, und Galle stieg ihm bitter die Kehle hoch. Er holte tief Luft, zwang sich, in Ruhe nachzudenken. Dass sie sich versteckt hatte, konnte er verstehen; wenn er im Zimmer gewesen wäre und gehört hätte, wie jemand anderes zum Fenster hereinkam, er hätte sich auch ein Versteck gesucht. Vielleicht gab es eine völlig vernünftige Erklärung hierfür? Vermutlich keine - davon war er überzeugt -, die ihm gefiel, aber so sehr er sich auch bemühte, fiel ihm einfach kein Grund dafür ein, warum Isabel sich in Whitleys Zimmer aufhalten sollte. Eifersucht hob ihr hässliches Haupt, er drehte sich im Sattel um und starrte sie an. »Bist du Whitleys Geliebte?«, verlangte er zu erfahren.
Isabel versteifte sich. »Wie kannst du es wagen!«, rief sie, wütend, dass er so etwas überhaupt für möglich hielt. Sie reckte ihr Kinn kämpferisch und fügte hitzig hinzu: »Du bist beleidigend und anmaßend.«
»Du bist meine Verlobte, und ich habe dich gerade dabei erwischt, wie du dich im Schlafzimmer eines anderen versteckt hast«, erwiderte Marcus bissig. »Ich bin der Ansicht, du schuldest mir eine Erklärung.«
»Was denkst du, was ich dort getan habe?«, zog sie ihn auf, zu wütend, um ihre Zunge zu hüten. »Glaubst du, ich wollte mich mit Whitley treffen? Dass wir ein Liebespaar sind? Was würdest du dagegen unternehmen?« Sie
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