Sturm der Herzen
konnte er sich nicht dazu bringen. Seufzend steckte er es zurück. Geheimnisse! Wie er sie hasste.
Zehn Minuten später hörte er ein Pferd kommen; er stand auf, als Jack auf den Hof ritt. Jack hielt an und schaute Marcus an. »Du hattest recht«, erklärte er frustriert. »In seinem Zimmer war nichts, und du kannst mir glauben, dass ich überall gesucht habe.« Marcus grinste, worauf Jack lachen musste. »Ich werde nie wieder an dir zweifeln.« Er stieg ab, dann brachten sie Jacks Pferd zusammen in den Stall und versorgten es.
Seite an Seite gingen sie danach zum Haus; Jack erkundigte sich beiläufig: »Und wie war dein Treffen mit Whitley? Alles gut gelaufen?«
Marcus nickte. »Genau so, wie ich es geplant hatte.« Marcus lächelte. »Es war eine höchst befriedigende Begegnung.«
Jack zuckte die Achseln. »Ich bin froh, dass wenigstens einer von uns etwas zu seiner Zufriedenheit erledigen konnte. In dem Zimmer war nichts, aber auch rein gar nichts, das mir Hoffnung gemacht hat, dass wir noch etwas finden werden.«
»Vielleicht hat er es ja wirklich nicht«, gab Marcus zu bedenken, während sie die Stufen zum Haus hochstiegen.
»Die Möglichkeit besteht jedenfalls, aber er scheint mir sonst als Verdächtiger so perfekt, dass ich nicht bereit bin, ihn als unschuldig zu betrachten.« Mit nachdenklicher Miene fügte Jack hinzu: »Nachdem ich Whitleys Zimmer durchsucht hatte, habe ich noch ein sehr aufschlussreiches Gespräch mit dem Wirt geführt. Dieser Keating ist ja sehr redselig. Er hat erwähnt, dass Whitley mit einem der Schmuggler der Gegend Bekanntschaft geschlossen hat, einem gewissen Peter Collard. Kennst du ihn?«
Marcus’ Mund wurde schmal. »Allerdings. Collards tollkühne Taten sind legendär unter den Schmugglern hier. Whitleys Bekanntschaft mit ihm verleiht deiner Annahme, dass er das Memorandum gestohlen hat, neue Glaubwürdigkeit. Er sucht vermutlich nach einem Weg, nach Frankreich zu segeln oder an einen Ort, wo man den Franzosen wohlgesinnt ist.«
Sie hatten die schwere Eingangstür erreicht, als hinter ihnen das Geräusch eines galoppierenden Pferdes die Nacht zerriss. Marcus drehte sich um, er rechnete halb damit, Whitley über die Auffahrt preschen zu sehen. Er runzelte die Stirn, als er in dem Reiter einen der Lakaien von Manning Court erkannte.
»Mr Sherbrook! Mr Sherbrook!«, rief der junge Mann, während er sein schaumbedecktes Pferd am Fuß der Treppe zum Stehen brachte. »Ich habe eine Nachricht für Sie, von Mrs Manning.« Er sprang aus dem Sattel und winkte mit einem kleinen Umschlag. »Es ist der Baron, Sir. Er ist sterbenskrank.«
Isabels Nachricht bestätigte seine Worte.
Marcus, schrieb sie, komm bitte rasch. Der Baron ist heute Abend, kurz nach unserer Ankunft auf Manning Court zusammengebrochen. Der Arzt hat ihn untersucht und glaubt, dass er im Sterben liegt. Lord Manning besteht darauf, dass du kommst.
Isabel.
9
N achdem er Jack alles hastig erklärt hatte, lief Marcus zu den Ställen zurück und ritt kurz darauf wieder durch die Nacht. Dieses Mal jedoch trieb ihn Furcht an, sodass er sein Pferd zu immer schnellerem Tempo drängte, er nahm die kürzeste, damit aber auch gefährlichste Strecke nach Manning Court.
Als er sein schweißbedecktes Pferd vor dem beeindruckenden Eingang zum Stehen brachte, war er weder überrascht, den schwarzen Einspänner des Arztes auf der halbrunden Einfahrt zu entdecken, noch das Haus hell erleuchtet zu sehen. Deering, der Butler der Mannings, eilte über die breite Terrasse, um ihn zu begrüßen.
»Oh, Mr Sherbrook! Ich bin ja so erleichtert, dass Sie hier sind«, rief er, und seine Miene spiegelte Besorgnis wider. »Es ist ganz schrecklich! Wir können einfach nicht glauben, dass er stirbt.« Er riss sich ein wenig zusammen und fuhr etwas förmlicher fort: »Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Sir, ich werde Sie sogleich zu Lord Manning bringen.«
Leise betraten sie Lord Mannings Schlafzimmer. Marcus ging langsam durch das geräumige Zimmer zu dem massiven Himmelbett mit den burgunderroten und goldfarbenen Vorhängen. Im flackernden Schein mehrerer Kerzenleuchter, die so im Zimmer aufgestellt waren, dass es möglichst überall hell war, sah er die Umrisse der Gestalt des alten Barons unter der schweren Seidendecke, seine Hände lagen bleich und reglos auf dem Stoff. Isabel, die nicht dazugekommen war, sich umzuziehen, hatte immer noch das bernsteinfarbene Seidenkleid an, das sie auch zum Dinner auf Sherbrook Hall getragen hatte.
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