Sturm der Herzen
nahm Isabel mit aus dem Zimmer. Er blickte sie forschend an und sagte sachte: »Es wird nicht die Hochzeit werden, die wir geplant hätten, aber es wird die vielleicht letzten Stunden eines alten Mannes froher machen.«
Mit Tränen in den Augen nickte sie. Sie versuchte etwas zu sagen, brachte aber nichts über die Lippen. Sie rang sichtlich um Fassung und presste hervor: »Ich würde für ihn alles tun. Ich liebe ihn wie meinen eigenen Vater, und ich ertrage den Gedanken nicht, dass er sterben könnte.« Gequält rief sie: »Was soll ich nur Edmund sagen, wenn er aufwacht und herausfindet, dass sein Großvater gestorben ist?«
»Habe ich dir nicht empfohlen, nicht alle Hoffnung aufzugeben? Wir müssen uns auf sein Hinscheiden gefasst machen, aber es besteht kein Grund, in Verzweiflung zu verfallen. Bis das hier geschehen ist, war er ein kraftstrotzender gesunder Mann. Er ist noch nicht tot, und bis es so weit ist, weigere ich mich, das ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Wenn es zum Schlimmsten kommt, werde ich wissen, dass unsere Ehe ihm Frieden geschenkt hat.« Er hob ihr Kinn an und hauchte einen hastigen Kuss darauf. »Schick dem Vikar eine Nachricht, dann geh zurück zu deinem Schwiegervater und erinnere den alten Teufel an alles, wofür es sich zu leben lohnt. Sei stark für ihn.« Seine eigenen Sorgen und Ängste verbergend machte Marcus auf dem Absatz kehrt und ging.
Ein zartes Rosagold färbte den Horizont, als sie alle wieder in Lord Mannings Schlafzimmer versammelt waren. Die Zahl der Personen, die sich in dem großen Raum aufhielten, war in den vergangenen Stunden stetig angewachsen. Ehe er von Manning Court in Richtung Mrs Appleton losgeritten war, hatte Marcus eine Nachricht verfasst, die schnellstmöglich seiner Mutter überbracht werden sollte. Darin befanden sich eine knappe Erklärung der Lage und die Mitteilung, wenn sie seiner Hochzeit beiwohnen wollte, sollte sie sich besser beeilen. Daher waren sowohl sie, als auch Jack zwei von denen, die stumm ein Stück seitlich des Himmelbetts standen, in dem Lord Manning so still und blass lag; Vikar Norris, der nur wenige Minuten vor ihnen eingetroffen war, unterhielt sich leise mit Mr Seward.
Es war zu erwarten gewesen, dass Mrs Appleton, nachdem sie den Grund für Marcus’ Besuch mitten in der Nacht erfahren hatte, nicht zu Hause bleiben würde. Ihr weiches, rundes Gesicht war traurig, und sie musste gegen die Tränen kämpfen, aber sie bestand darauf, mit Marcus nach Manning Court zu fahren, um noch ein paar kostbare Minuten mit dem Mann zu verbringen, den sie liebte und den sie zu heiraten gehofft hatte. Gegenwärtig stand sie direkt neben dem Bett und hielt Lord Mannings gebrechlich aussehende Hand in ihrer warmen. Bischof Latimer, dem man die Lage kurz erklärt hatte, war nicht nur willens, die Sondererlaubnis zu erteilen, sondern war zudem entschlossen, in diesen schweren Stunden an der Seite seiner Schwester zu bleiben, und hatte sie nach Manning Court begleitet.
Während Marcus’ Abwesenheit hatte Isabel mit sich gerungen, ob sie Edmund aufwecken sollte oder nicht. Sie wusste, wie sehr er seinen Großvater liebte, und entschied daher zögernd, dass es ihm erlaubt sein sollte, ihn noch einmal zu sehen, ehe er starb. Edmund, dessen junges Gesicht seine Bestürzung zeigte, kniete auf der anderen Seite des Bettes und rieb seinem Großvater den Arm, er konnte seinen Blick nicht von dem Gesicht des alten Mannes abwenden.
Deering und die Haushälterin Mrs Deering, seine Frau, die beide im Haushalt des Barons aufgewachsen waren und deren Eltern schon in den Diensten der Familie gestanden hatten, warteten in der Nähe der Tür, Mrs Deering versuchte, ihr Schluchzen mit einem großen Taschentuch zu dämpfen. Marcus wusste, dass sich mehrere andere langjährige Angestellte besorgt auf dem Flur aufhielten und sich für die niederschmetternde Nachricht zu wappnen versuchten, dass ihr Herr tot sei.
Trotz des nahenden Morgens und der vielen Kerzen, die angezündet worden waren und überall im Zimmer verteilt herumstanden, schien sich ein grauer Schleier, der nichts mit dem Mangel an Licht zu tun hatte, über alles zu legen. Mrs Deerings leises Weinen war von der Tür her zu hören und verstärkte die bedrückende Atmosphäre. Nicht der beste Anfang einer Ehe, überlegte Marcus.
Er verbarg seinen eigenen Schmerz und setzte eine ruhige Miene auf, ging zu Isabel, die an der einen Ecke des Bettes wartete und ihren Sohn und seinen Großvater beobachtete. Er
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