Sturm der Herzen
Grab nehmen.« Als sie in seinem Gesicht las, dass er widersprechen wollte, seufzte sie müde. »Ich weiß. Ehe du es aussprichst, stimme ich dir zu, dass es unfair und starrsinnig von mir ist, aber glaube mir, Marcus, wenn unsere Rollen vertauscht wären, würdest du es genauso halten.« Sie blickte auf den Anhänger und fragte leise: »Darf ich ihn haben?«
Einen Moment schaute er sie nachdenklich an, dann reichte er ihn ihr wortlos. Der Anhänger war warm von seiner Hand. Isabel starrte eine Weile darauf, folgte mit den Augen dem Verlauf des eingravierten Musters darauf. Erinnerungen wurden geweckt, und ihr traten Tränen in die Augen. Sie drückte das Schmuckstück an ihren Busen und lächelte zittrig. »Danke«, gelang es ihr mit belegter Stimme zu sagen. »Es bedeutet mir viel.«
Marcus verneigte sich. »Bitte sehr.«
»Wie«, fragte sie, das Schmuckstück sorgsam in ihren Händen haltend, »hast du es von Whitley bekommen? Er hat es doch gewiss nicht einfach so hergegeben?«
Marcus musste grinsen. »Da hast du natürlich recht, aber ich kann, äh, sehr überzeugend sein, wenn sich die Notwendigkeit ergibt.« Sein Grinsen verblasste, und er stellte sich direkt vor sie. Mit ernster Miene erklärte er: »Isabel, du weißt, dass ich nie zulassen werde, dass Whitley oder sonst jemand dir etwas tut. Bist du sicher, dass du mir nicht verraten willst, was vor sich geht?«
Sie zögerte, aber da kam Edmund ins Zimmer und sagte dabei: »Mutter, Großvater schläft ruhig. Denkst du, ich kann ihn kurz allein lassen und mich waschen und anziehen?«
Isabel blickte schuldbewusst auf, dann eilte sie zu ihrem Sohn. »Ich glaube, das ist eine sehr gute Idee. Lauf du nur, ich gehe und schaue nach ihm, solange du weg bist.«
Der Augenblick war vorbei, und Marcus unternahm keinen Versuch, sie aufzuhalten, als sie ihm über ihre Schulter ein unsicheres Lächeln sandte und in Lord Mannings Schlafzimmer verschwand.
Am Vormittag wurde es offensichtlich, dass der Baron, obwohl er weiterschlief, nicht in ganz naher Zukunft sterben würde, sodass der Vikar, Jack, Marcus’ Mutter, Mrs Appleton und Bischof Latimer heimfuhren. Mrs Appleton wollte allerdings so schnell wie möglich wiederkommen. Ihr rundes Kinn bebte leicht, als sie Marcus sagte: »Ich werde innerhalb der nächsten Stunde wieder da sein. Ich muss das Packen meiner Reisetruhe überwachen und meinen Bruder versorgen, ehe ich wieder herfahren kann.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und mit erstickter Stimme sagte sie: »So hatte ich mir meinen ersten Aufenthalt hier bestimmt nicht vorgestellt.«
Marcus tätschelte ihr die Schulter und sagte leise: »Kein Grund, zu verzweifeln, Madam. Lord Manning kann den Arzt noch Lügen strafen.«
Ihre betrübte Miene hellte sich ein wenig auf, sie betupfte sich mit einem zarten Spitzentüchlein die Augen und rief: »Oh, ich hoffe so, dass Sie recht haben!«
Das Haus wirkte nach ihrem Aufbruch sehr still, aber schon kurze Zeit später, nachdem die Neuigkeit in der Nachbarschaft die Runde gemacht hatte, kamen Freunde des Barons, um sich nach ihm zu erkundigen und ihrer Sorge um ihn Ausdruck zu verleihen. Marcus kümmerte sich um sie, nachdem er Isabel gesagt hatte, ihr Platz sei an der Seite des Barons. Leise lächelnd erklärte er: »Geh zu ihm, mein Lieb, wenn du dort sein willst.« Sie zögerte noch, worauf er hinzufügte: »Wenn du natürlich lieber die Besucher empfangen möchtest, bitte. Dann gehe ich zu Lord Manning und sehe nach, ob er mich braucht.«
Damit hatte er genau das Richtige gesagt, Isabel lief die Treppe hoch, räumte das Feld und überließ ihm das Erdgeschoss, was, wie sie amüsiert dachte, genau das war, was er geplant hatte.
Natürlich hatte sich die Nachricht von der unerwarteten Hochzeit ebenso rasch verbreitet, und zwischen besorgten Nachfragen wegen des Gesundheitszustands des Barons gab es Glückwünsche für Marcus zu seiner Verheiratung. Es war, entschied er selbst belustigt, eine in höchstem Maße bizarre Lage, Beileidsbekundungen und Gratulationen gleichzeitig anzunehmen.
Seine Reisetasche aus Sherbrook Hall traf zusammen mit seinem Kammerdiener Bickford ein, der sich im Moment oben in dem großzügigen Zimmer aufhielt, das Isabel für Marcus ausgesucht hatte, und mit dem Auspacken beschäftigt war. »Ich habe Deering gebeten, dich in dem Zimmer einzuquartieren, das an das meines Schwiegervaters angrenzt«, erläuterte sie ihm, »Mrs Appleton wird auf der gegenüberliegenden Seite des
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