Sturm der Leidenschaft
Debüt in der Gesellschaft zog Onkel Edward eines Abends drei Opernkarten aus der Tasche und bemerkte lässig, es würde ihn freuen, wenn Whitney - falls es ihre Zeit erlaube - seine Frau und ihn in die Botschafts-Loge begleiten würde.
Noch vor wenigen Monaten hätte Whitney vor Freude Purzelbäume geschlagen, aber jetzt strahlte sie ihren Onkel nur an und sagte wohlerzogen: »Das würde mir außerordentlich gut gefallen, Onkel Edward.«
Ähnlich ergeben ließ sie es über sich ergehen, daß Clarissa, die einst Susan Stones Zofe gewesen war, bevor sie die Vertraute und Zofe ihrer Tochter wurde, ihre Haare bürstete und auf dem Kopf zu einer lockigen Krone feststeckte, aus der feine Löckchen in den Nacken rieselten. Whitneys neue weiße Robe mit eisblauen Samtbändern um die hohe Taille und gerüschtem Saum wurde sorgsam über ihren Kopf gestreift. Ein eisblaues Satin-Cape vervollständigte ihre Ausstattung. Mit leuchtenden Augen stand Whitney vor dem Spiegel. Dann versank sie in einem tiefen Hofknicks und murmelte mit ernster Stimme: »Ich habe die Ehre, Miss Whitney Stone anzukündigen, la Belle de Paris.«
Als die Ouvertüre einsetzte, vergaß Whitney die berauschende Eleganz ihrer Umgebung, all die erregenden neuen Eindrücke, und gab sich ganz dem Zauber der Musik hin. Als sich die schweren Vorhänge nach dem ersten Akt senkten, mußte sich Whitney leicht kneifen, um wieder in die Wirklichkeit zurückzufinden. Hinter ihr hatten Bekannte ihrer Tante und ihres Onkels die Loge betreten und begannen eine halblaute angeregte Unterhaltung.
»Whitney«, sagte Tante Anne und faßte leicht nach ihrer Schulter. »Dreh dich um, damit ich dich unseren lieben Freunden vorstellen kann.«
Folgsam stand Whitney auf, wandte sich den Neuankömmlingen zu, und wurde Madame und Monsieur Du Ville vorgestellt. Ihre Begrüßung war offen und liebenswürdig, aber ihre Tochter Thérèse, ein sympathisches blondes Mädchen in Whitneys Alter, beäugte sie stumm und neugierig. Unter den durchdringenden Blicken des Mädchens verlor Whitney einiges von ihrer Zuversicht. Sie hatte noch nie gewußt, worüber sie sich mit Gleichaltrigen unterhalten sollte, und zum ersten Mal seit ihrer Abreise aus England fühlte sie sich unsicher und gehemmt. »Ge ... gefällt Ihnen die Oper?« brachte sie schließlich über die Lippen.
»Nein«, entgegnete Thérèse lächelnd, »ich kann kein einziges Wort verstehen.«
»Whitney versteht es«, verkündete Lord Edward stolz. »Sie kann Italienisch, Griechisch, Latein sogar etwas Deutsch!«
Am liebsten wäre Whitney im Boden versunken, denn die Prahlerei ihres Onkels brandmarkte sie in den Augen der DuVilles mit Sicherheit als allzu gebildet und unweiblich. Sie zwang sich dazu, Thérèse in die verblüfften Augen zu blicken.
»Ich kann nur hoffen, daß Sie nicht auch noch das Pianoforte spielen und singen«, meinte die zierliche Blondine und zog ein Schmollmündchen.
»O nein«, versicherte Whitney hastig. »Keines von beidem.«
»Wunderbar«, verkündete Thérèse und sank strahlend auf den Stuhl neben Whitney. »Denn das sind die einzigen beiden Dinge, die ich ganz gut kann. Freuen Sie sich auf Ihr Debüt?« setzte sie hinzu und musterte Whitney bewundernd.
»Nicht besonders«, meinte Whitney wahrheitsgemäß.
»Ich schon. Obwohl es für mich eine reine Formalität ist. Meine Heirat wurde bereits vor drei Jahren arrangiert. Aber das ist hervorragend, denn nun kann ich mich ganz darauf konzentrieren, für Sie einen Ehemann zu finden. Ich kann Ihnen sagen, welche Messieurs noch ungebunden und welche lediglich gutaussehend sind - also weder über Geld noch Karriereaussichten verfügen. Und wenn Sie eine exzellente Partie machen, komme ich zu Ihrer Hochzeit und erzähle allen, daß ich dafür verantwortlich bin«, schloß sie mit einem unwiderstehlichen Lächeln.
Auch Whitney lächelte, wenn auch ein wenig verdutzt über Thérèses bedingungsloses Freundschaftsangebot. Dennoch schien das Lächeln überzeugend zu sein, denn Thérèse DuVille fuhr fort: »Meine Schwestern haben sich alle glänzend verheiratet. Nur ich bin noch ledig. Und mein Bruder Nicolas natürlich.«
Whitney kämpfte mit der Versuchung, sich scherzhaft danach zu erkundigen, ob Nicolas DuVille in die Kategorie »ungebunden« oder »lediglich gutaussehend« fiel, aber Thérèse lieferte diese Antwort auch ungefragt. »Nicki ist absolut ungeeignet. Nun, eigentlich ist er es, weil er sehr reich und schrecklich gutaussehend ist.
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