Sturm der Leidenschaft
Versteckspiel doch ersparen, oder?«
Wie erstarrt stand Whitney da, während der Mann seinen Blick ganz langsam und abschätzend über ihren Körper wandern ließ. Verharrte er tatsächlich anzüglich auf ihren Brüsten oder war das nur ihre Einbildung? Als er mit der Musterung ihrer Vorderansicht fertig war, schlenderte er auch noch um sie herum, als wäre sie ein Pferd, dessen Erwerb er in Erwägung zog. »Ersparen Sie sich die Mühe«, meinte er, als Whitney nervös das Couvert öffnete. »Darin steht, daß Thérèse ihr Armband hier vergessen hat, aber wir wissen doch beide, daß das nur ein Vorwand ist, damit wir uns kennenlernen.«
Whitney war zur gleichen Zeit verwirrt, verlegen, erheitert und gekränkt. Thérèse hatte zwar gesagt, ihr Bruder sei arrogant, aber so abscheulich hatte ihn sich Whitney nun doch nicht vorgestellt.
»Aber eigentlich«, sagte er, als er wieder vor ihr stand, »sind Sie ganz anders, als ich gedacht hätte.« Seine Stimme enthielt einen Hauch widerwilliger Wertschätzung.
»Nicolas!« Tante Annes Auftauchen enthob Whitney einer Antwort. »Wie schön, Sie zu sehen. Aber ich habe mit Ihrem Besuch gerechnet. Eines der Mädchen hat Thérèses Armband hinter einem Sofakissen gefunden. Die Schließe ist defekt. Ich werde es holen«, setzte sie hinzu und verließ schnell wieder den Raum.
Nicki sah Whitney verblüfft an. Ein leises Lächeln spielte um ihre Lippen, sie schien seine Verlegenheit sichtlich zu genießen. Angesichts seiner früheren Grobheit hielt Nicolas zwar keine Entschuldigung, doch eine Art höflicher Konversation für dringend erforderlich. Er warf einen Blick auf das Etikette-Buch mit Emilys Briefen und fragte: »Lernen Sie die feine Lebensart, Mademoiselle?«
»Ja«, erwiderte Miss Stone, unterdrücktes Lachen tanzte in ihren Augen. »Soll ich Ihnen das Buch vielleicht einmal leihen?«
Ihr Seitenhieb brachte ihr ein umwerfendes Lächeln der Anerkennung ein. »Ich sehe ein, daß ein Tadel für mein Verhalten Ihnen gegenüber durchaus angebracht ist, Mademoiselle«, erklärte er würdevoll. »Würden Sie mir die Ehre geben, mir morgen einen Tanz zu schenken?«
Whitney zögerte. Sein hinreißendes Lächeln und seine offene Verwunderung verwirrten sie.
Nicolas hielt ihr Schweigen für Koketterie, zuckte mit den Schultern, und jede Wärme schwand aus seinem Lächeln, als er spöttisch anmerkte: »Ihrem Zögern entnehme ich, daß Sie alle Tänze bereits vergeben haben. Nun, dann vielleicht ein anderes Mal.«
Whitney erkannte, daß er sein Angebot zurücknehmen wollte und kam zu dem Schluß, daß dieser Mann tatsächlich so arrogant und überheblich war, wie sie ursprünglich angenommen hatte. »Keiner meiner Tänze ist vergeben«, verblüffte sie ihn mit unumwundener Offenheit. »Schließlich sind Sie der erste Gentleman, den ich in Paris kennenlerne.«
Ihre Betonung des Wortes »Gentleman« entging Nicolas keineswegs. Er warf den Kopf in den Nacken und lachte laut auf.
»Hier ist das Armband«, rief Lady Gilbert von der Tür her. »Und erinnern Sie Thérèse bitte an den defekten Verschluß, Nicolas.«
Nicki nahm das Schmuckstück entgegen und verabschiedete sich. Er bestieg seine Kutsche und ließ sich nach Hause fahren. Sie durchquerten einen Park, an dessen gewundenen Pfaden Frühlingsblumen in verschwenderischer Pracht blühten. Zwei hübsche junge Damen hoben grüßend die Hand, als er vorbeifuhr, aber Nicki hatte kaum einen Blick für sie. Seine Gedanken waren bei dem jungen Mädchen aus England, das er gerade kennengelernt hatte.
Er konnte beim besten Willen nicht begreifen, warum Whitney Stone und seine wirrköpfige Plaudertasche von Schwester so unzertrennliche Freundinnen geworden waren, denn sie hätten verschiedener nicht sein können. Thérèse war ein hübsches Ding, frisch und süß wie Limonade, aber ihr fehlte jede Tiefe, die einen Mann interessieren könnte.
Whitney Stone wiederum war ein wahrer Schatz der Kontraste. Sie funkelte wie voller, roter Burgunder und verhieß verborgene Qualitäten, die sich erst noch entwickeln würden. Für eine knapp Siebzehnjährige hatte sie seinen Spott mit bemerkenswerter Haltung quittiert. In ein paar Jahren, entschied Nicolas, würde sie faszinierend sein. Ein Lachen stieg in ihm auf, als er sich an ihre Bemerkung über das Etikette-Buch erinnerte.
Es wäre eine Schande, beschloß er, wenn ein so rares Juwel auf einem Debütantinnenball in der Nichtbeachtung unterging, nur weil sie in Frankreich eine
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