Sturm der Leidenschaft
Kristallkelche mit Wein. »Könnte es sein, daß du nicht weißt, wer sie ist?« zischte ihm Clayton leise zu.
»Natürlich weiß ich es.« Stephen grinste unverhohlen und griff nach drei Gläsern. »Würdest du bitte Miss Stones Glas mitnehmen, Clay? Alle vier auf einmal bewältige ich nicht.«
Als er sich ihr mit dem Glas näherte, drückte sich Whitney unwillkürlich tiefer in die Polster und suchte in seinem Gesicht nach einem Anzeichen dafür, daß er noch immer irgend etwas für sie empfand. Sie konnte keines entdecken.
In akuter Verzweiflung nippte sie abwesend an ihrem Wein und beobachtete verstohlen Clayton, der ihr gegenüber neben Vanessa saß und einen glänzenden Stiefel lässig auf das andere Knie gelegt hatte. Wie er da saß, ganz entspannt und wie selbstverständlich in der Pracht dieses weißgoldenen Salons, war er jeder Zoll der hoheitsvolle, elegante Adlige, der Träger eines uralten Namens. Nie hatte er besser ausgesehen und nie unerreichbarer gewirkt. Und um alles noch schlimmer zu machen, war Vanessa Standfield in ihrer fließenden blauen Seidenrobe noch erhabener und sehr viel schöner, als Whitney sie von dem Ball bei den Rutherfords in der Erinnerung hatte.
Verspannt und gequält zählte Whitney die Minuten, bis dieser Alptraum endlich vorüber war und sie sich verabschieden konnte. Jetzt wußte sie, daß sie nie hätte hierher kommen dürfen. Doch nun war es zu spät.
Glücklicherweise wurde wenig später angekündigt, das Essen stünde bereit. Ohne einen Blick in ihre Richtung zu werfen, erhob sich Clayton und geleitete seine Mutter und Vanessa aus dem Salon.
Auch Whitney stand auf, nahm Stephens Arm und wollte ihnen folgen. Aber Stephen hielt sie zurück. »Diese verflixte Vanessa«, sagte er leise auflachend. »Ich könnte sie erwürgen. Es scheint an der Zeit, unsere Strategie zu ändern, obwohl bisher alles recht zufriedenstellend verlaufen ist.«
»Strategie?« echote Whitney verständnislos. »Zufriedenstellend?«
»Sogar ganz ausgezeichnet, wenn ich es mir recht überlege. Sie saßen da und sahen so wunderschön und verletzlich aus, daß Clayton kein Auge von Ihnen wenden konnte, wenn er glaubte, Sie würden es nicht bemerken. Aber es ist Zeit, daß Sie sich etwas einfallen lassen, um mit ihm unter vier Augen zu sprechen.«
Whitneys Herz schwang sich in ungeahnte Höhen. »Er konnte die Augen nicht von mir wenden? O Stephen, sind Sie sich auch ganz sicher? Und ich dachte, er würde nicht einmal bemerken, daß ich da bin.«
»Er hat sehr wohl bemerkt, daß Sie da sind.« Stephen lachte. »Allerdings wünscht er bei Gott, Sie wären es nicht. Aber ich kann mich nicht erinnern, ihn jemals so wütend erlebt zu haben. Nun liegt es bei Ihnen, ihn so zu reizen, daß er völlig die Beherrschung verliert.«
»Was?« flüsterte Whitney entsetzt. »Großer Gott, warum?«
Sie waren an der Tür zum Speisezimmer angekommen, aber Stephen blieb bewußt vor einem Portrait in der Halle stehen, als wolle er es Whitney erklären. »Sie müssen ihn so erregen, daß er den Tisch verläßt und Sie auffordert, mit ihm zu kommen. Wenn Sie das nicht tun, wird er gleich nach dem Dinner einen Grund finden, sich mit Vanessa und meiner Mutter zurückzuziehen, um Sie meiner Gesellschaft zu überlassen.«
Die Aussicht, Clayton in einen verbalen Schlagabtausch zu verwickeln, erfüllte Whitney mit einer eigentümlichen Mischung aus Furcht und Hoffnung. Sie erinnerte sich an Emilys Rat, auf keinen Fall schwach und unterwürfig zu wirken, und sagte sich, was der zurückhaltenden Elizabeth Ashton gelungen war, würde auch ihr gelingen. »Stephen«, meinte sie plötzlich, »warum tun Sie das eigentlich?«
»Jetzt ist keine Zeit, das ausführlich zu erörtern«, entgegnete Stephen und geleitete sie in das Speisezimmer. »Vergessen Sie nicht: Ganz gleich, wie zornig mein Bruder auch wird - er liebt Sie. Und wenn es Ihnen gelingt, mit ihm allein zu sprechen, bin ich sicher, daß Sie ihm das auch bewußtmachen können.«
»Aber Ihre Mutter wird doch annehmen, ich sei das taktloseste Wesen auf Erden, wenn ich ihn bewußt herausfordere.«
»Meine Mutter wird Sie für beherzt und bewundernswert halten. Genau wie ich.« Er lächelte sie jungenhaft an. »Und nun Mut, junge Lady. Ich möchte mehr von der bezaubernd unbekümmerten jungen Frau sehen, die ich neulich auf dem Ball der Kingsleys beobachtet habe.«
Es war gerade noch Zeit, ihm einen erstaunten, dankbaren Blick zuzuwerfen, dann führte er sie zu ihrem
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