Sturm der Leidenschaft
Ostflügel und wartete dann unruhig auf seine Antwort.
Mit zitternden Fingern entfaltete sie den Brief, auf den Clayton mit seiner energischen Handschrift geschrieben hatte: »Teile meinem Kammerdiener mit, welche Kleidung erwünscht ist.« Vor Freude hätte sie am liebsten laut aufgelacht.
An diesem Abend verwandte sie auf ihr Aussehen mehr Sorgfalt als je zuvor in ihrem Leben. Clarissa frisierte ihre Haare zu kunstvollen Locken, die sie mit einer feinen Goldkette durchwob, die einst Whitneys Großmutter gehört hatte. Um ihren Hals hing ein schlichter, von Diamanten umgebener Topas aus dem Besitz ihrer Urgroßmutter. Sie trug keinerlei Westmoreland-Schmuck, nicht einmal ihren herrlichen Verlobungsring. Einige Minuten lang überlegte sie sogar, ob sie ihren Trauring ablegen sollte, doch das brachte sie nicht über sich - nicht einmal, um ihren Standpunkt zu betonen.
Clayton stand mit einem Glas Whisky am Fenster des Weißgoldenen Salons und blickte düster hinaus. Mit einem übermütigen Lächeln in den Augen und in einer Wolke goldbestickten Chiffons betrat Whitney den Raum. Sie legte die goldene Stola nicht ab, die über ihren Brüsten lag, noch hatte sie die Absicht, das vor ihrer Ankunft bei Michaels Eltern zu tun. Wenn Clayton in seiner augenblicklichen Stimmung ihre smaragdgrüne Robe schon nicht gutgeheißen hatte, würde ihm diese noch sehr viel weniger gefallen.
»Wir passen nicht zusammen«, bemerkte Whitney als sie an ihrem Ziel angekommen waren und Clayton ihr aus der Kutsche half.
»Was meinst du damit?« fragte er kühl.
»Damit meine ich die Farben, die wir tragen«, erläuterte sie unschuldig. Mit einer bewußt beiläufigen Geste zog sich Whitney die Stola von Schultern und Busen und ließ sie zwischen ihren Fingern flattern, als sie neben ihm auf das Haus zuging.
»Ich kann nicht erkennen . . .«, begann Clayton, brach ab und blieb wie angewurzelt stehen. »Willst du herausfinden, wie weit ich mich provozieren lasse?« erkundigte er sich mit kaum hörbarer Stimme.
»Nein, Mylord«, erwiderte Whitney sanft. »Wie könnte ich dich noch mehr provozieren als es mir bereits mit der einfachen Tatsache gelungen ist, daß ich ein Kind bekomme?«
»Wenn ich dir einen Rat geben darf«, fauchte er, mühsam um Fassung bemüht, »solltest du deinen Zustand nicht vergessen und dich heute abend entsprechend benehmen.«
Whitney lächelte ihn strahlend an und war sich sehr wohl bewußt, wie intensiv sein Blick auf ihren Brüsten ruhte. »Genau das hatte ich vor«, erklärte sie munter. »Aber mein Stickrahmen paßte nicht in mein Ridikül. . .«
»Du solltest diesen Ball heute abend sehr ausgiebig genießen,«, zischte er unbeherrscht, »denn es ist der letzte, an dem du teilnehmen wirst. Du wirst bis zur Geburt des Kindes Claymore nicht mehr verlassen, und ich ziehe in das Londoner Stadthaus.«
In dem Moment, in dem Whitney den Festsaal betrat, hatte sie das vage Gefühl, daß irgend etwas nicht stimmte. Auf den ersten Blick wirkte alles wie gewöhnlich. Nein, zu gewöhnlich - ganz so, als würde sich jedermann die größte Mühe geben, so normal wie möglich zu erscheinen.
Aber als Emily wenig später eintraf, lieferte sie unverzüglich die Erklärung für die seltsame Atmosphäre des Abends. »O mein Gott«, flüsterte sie, zog Whitney beiseite und warf fast ängstliche Blicke um sich. »Mein Schwiegervater kommt doch mitunter auf die absurdesten Einfälle. Ich wollte meinen Ohren nicht trauen, als er mir vor fünf Minuten erzählte, welche Anstrengungen es ihn gekostet hat, sie als Überraschung für meine Schwiegermutter herzulocken.«
»Von wem redest du eigentlich?« flüsterte Whitney verständnislos zurück.
»Von Marie Saint-Allermain. Sie ist hier! Michaels Vater hat sie durch die Vermittlung des Freundes eines Freundes dazu bewegen können, heute abend hier zu singen. Morgen abend hat sie einen Auftritt im Palast und .. .«
Den Rest hörte Whitney nicht mehr. Marie Saint-Allermain war in London, unter einem Dach mit Clayton. Und vor noch nicht einer Stunde hatte ihr Clayton gesagt, daß er in das Stadthaus ziehen würde. Später wußte Whitney nicht mehr, was sie zu Emily gesagt hatte oder wie sie in den Kreis der Bekannten zurückkehrte, mit denen sie sich unterhalten hatte, bevor Emily auf sie zukam. Mit einem Gefühl akuter Übelkeit wartete sie auf den Augenblick, an dem Claytons frühere Geliebte den Raum betrat.
Der riesige Salon war zum Bersten gefüllt. Aus dem Augenwinkel sah
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