Sturm der Leidenschaft
Mann ist ein Dummkopf, er hätte sich dich schon längst sichern sollen«, erklärte Onkel Edward. »Ich gehe davon aus, daß er es jetzt tut.«
»Ich hoffe es«, murmelte Whitney.
»Das habe ich mir doch gedacht«, meinte er und warf seiner Frau einen fast triumphierenden Blick zu. »Ich habe mich häufig gefragt, ob du deine vielen Verehrer nicht nur deshalb abgewiesen hast, weil du immer nach England zurückkehren wolltest, um ihn zur Vernunft zu bringen. Das hast du jetzt doch vor, oder irre ich mich?«
»Ich habe die Absicht«, gestand Whitney ein und stellte fest, daß ihr Onkel plötzlich wie ein kleiner Junge aussah.
»In diesem Fall«, fuhr er fort, »rechne ich fest damit, daß du vor dem ersten Schneefall verlobt sein wirst.«
»Das wäre wundervoll.« Whitney lächelte.
Lord Gilbert schob die Hände in die Hosentaschen und schien nachzudenken. »Ich könnte mir vorstellen, daß ein junges Mädchen in einer solchen Situation vielleicht den Rat einer erfahrenen Frau brauchen könnte. Vielleicht ist es gar nicht so einfach, einen solchen Zögerling wie diesen .. . äh ...?« '
»Paul«, half Whitney atemlos aus.
»Richtig, Paul. Also, ich könnte mir vorstellen, daß du deine Tante vielleicht gern bei dir haben würdest.« Er blickte Whitney über den Rand seiner Brille hinweg an. »Würde dir das gefallen?«
»Aber ja!« rief sie lachend. »Ja, ja, ja!«
Edward zog sie in die Arme und sah über Whitneys Schultern hinweg auf seine strahlende Frau. Ihr dankbares Lächeln entschädigte ihn für das Opfer, das er gebracht hatte. »Ich habe unsere Reise nach Spanien verschoben«, sagte er. »Erst nach eurer Abfahrt werde ich mich dort um die Belange unseres Königs kümmern. Und dann komme ich irgendwann nach England, um dir zu deiner Verlobung mit deinem Zögerling zu gratulieren und deine Tante wieder mit nach Paris zu nehmen.«
An Vorabend der Abreise nach England gaben Nicolas Du Villes Eltern ein rauschendes Fest zu Whitneys Ehren. Den ganzen Abend lang fürchtete sich Whitney vor dem Abschied von Nicki, doch als der Moment gekommen war, gestaltete er ihn vergleichsweise unproblematisch.
Sie befanden sich allein in einem der kleinen Salons, und Nicki lehnte gedankenverloren mit einem Glas in der Hand am Kamin. »Ich werde Sie vermissen, Nicki«, sagte Whitney leise, als sie das Schweigen nicht länger ertragen konnte.
Mit einer Spur von Erheiterung blickte er auf. »Werden Sie das, Chérie?« fragte er, und bevor sie antworten konnte, fügte er hinzu: »Ich werde Sie nicht allzu lange vermissen.«
Whitneys Lippen zuckten vor unterdrücktem Lachen. »Wie absolut unritterlich von Ihnen!«
»Ritterlichkeit ist es etwas für grüne Jungs und alte Männer«, belehrte er sie scherzhaft. »Aber ich werde Sie aus einem einzigen Grund nicht vermissen: Weil ich die Absicht habe, in einigen Monaten nach England zu reisen.«
Whitney schüttelte verzweifelt den Kopf. »Nicki, da gibt es einen anderen. Zu Hause, meine ich. Zumindest gehe ich davon aus. Er heißt Paul, und . . .« Hilflos brach sie ab.
»War er je in Frankreich, um Sie zu besuchen?« erkundigte er sich vieldeutig.
»Nein, auf einen solchen Gedanken würde er nie kommen. Damals war ich ganz anders als heute - recht kindisch, meine ich. Und er hat mich als ungebärdiges, aufmüpfiges Mädchen in Erinnerung, das . . . Warum lächeln Sie eigentlich so merkwürdig?«
»Weil ich ausgesprochen entzückt bin«, erwiderte Nicolas lachend. »Entzückt über die Neuigkeit, daß mein Rivale, über den ich mir seit Monaten den Kopf zerbreche, irgendein englischer Tor ist, der Sie seit Jahren nicht mehr gesehen hat und nicht erkannte, zu welcher Frau Sie werden würden! Fahren Sie nach Hause, Chérie«, sagte er schmunzelnd, stellte sein Glas ab und zog sie leicht an sich. »Sie werden sehr schnell feststellen, daß in Herzensdingen die Erinnerung vieles verklärt. Dann, wenn ich in wenigen Monaten zu Ihnen komme, werden Sie bereit sein, sich das anzuhören, was ich zu sagen habe.«
Kapitel fünf
In der Abenddämmerung eines prachtvollen Septembertages blickte Whitney durch das Kutschenfenster auf eine vertraute Umgebung. Sie war nur noch wenige Kilometer von zu Hause entfernt.
Onkel Edward hatte darauf beharrt, daß sie standesgemäß reisten, und das bedeutete, daß ihrer Kutsche zwei weitere mit ihren Truhen und anderem Gepäck folgten sowie eine vierte, in der Tante Annes Zofe und Whitneys Zofe Clarissa saßen. Drei Reiter ritten den Kutschen
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