Sturm der Leidenschaft
während ihr Vater höflich einen Stuhl für Tante Anne zurechtrückte.
»Sie sind nötig«, erwiderte er schroff. »Es wirkte bereits alles leicht heruntergekommen.«
Es war vier Jahre her, seit jemand in diesem harschen Ton mit ihr gesprochen hatte, und Whitney sah ihn erstaunt an. Erst jetzt, im hellen Schein der Kerzen des Kronleuchters, bemerkte sie, daß seine Haare inzwischen grau geworden waren und er tiefe Falten um die Augen und den Mund hatte. Er sieht aus, als wäre er in vier Jahren um Jahrzehnte gealtert, dachte sie bekümmert.
»Was starrst du mich so an?« wollte er wissen.
So ist er stets mit mir umgegangen, erinnerte sich Whitney traurig, aber da sie keine Lust hatte, die alte Atmosphäre der Feindseligkeit zwischen ihnen wieder aufkommen zu lassen, erwiderte sie sanft: »Mir ist aufgefallen, daß dein Haar grau geworden ist.«
»Ist das so überraschend?« gab er zurück, aber nicht mehr ganz so schroff wie zuvor.
Fast vorsichtig lächelte Whitney ihn an - und konnte sich nicht erinnern, ihn jemals angelächelt zu haben. »Eigentlich schon«, meinte sie mit blitzenden Augen. »Denn wenn ich es nicht geschafft habe, dir graue Haare wachsen zu lassen, dann frage ich mich doch, wie vier Jahre ohne mich das bewirkt haben können.«
Ihr Vater wirkte perplex über ihre spaßige Bemerkung, verkniff sich aber jeden Kommentar. »Vermutlich weißt du, daß deine Freundin Emily geheiratet hat?« Whitney nickte, und er setzte hinzu: »Sie hat drei Saisons durchtanzt, und ihr Vater erzählte mir, er hätte fast jede Hoffnung aufgegeben, sie angemessen zu verheiraten. Und jetzt ist die Partie das Gespräch der ganzen Umgebung!« Sein Blick tadelte Lady Anne unübersehbar dafür, in dieser Hinsicht bei Whitney bedauerlicherweise versagt zu haben.
Lady Anne versteifte sich unwillkürlich, und Whitney mischte sich schnell mit einer scherzhaften Bemerkung ein. »Aber du hast doch hoffentlich noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, mich zu verheiraten, oder?«
»Doch«, entgegnete er unverblümt.
Ihr Stolz verlangte, daß sie ihm von den Dutzend Anträgen um ihre Hand erzählte, die Onkel Edward erhalten hatte, aber die Vernunft warnte sie vor der Reaktion ihres Vaters, wenn er erfuhr, daß Lord Gilbert diese Anträge abgelehnt hatte, ohne ihn zu konsultieren. Warum war ihr Vater nur so kalt und unnahbar? Konnte sie je darauf hoffen, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken? Sie setzte ihre Tasse ab„ lächelte ihn verschwörerisch an und meinte leichthin: »Wenn es deine Peinlichkeit vermindert, auch nach vier Saisons noch eine unverheiratete Tochter zu haben, könnten dir Tante Anne und ich im Vertrauen berichten, daß ich die Anträge von zwei Baronen, einem Earl und einem Prinzen abgelehnt habe.«
»Stimmt das, Madame?« knurrte er Tante Anne an. »Warum wurde ich über diese Anträge nicht in Kenntnis gesetzt?«
»Natürlich stimmt es nicht«, entgegnete Whitney schnell und bemühte sich, auch weiterhin zu lächeln. »Ich bin lediglich einem richtigen Herzog und einem Hochstapler begegnet - und habe sie gleichermaßen verabscheut. Ich habe zwar einen russischen Prinzen kennengelernt, aber der war bereits einer Prinzessin versprochen, und ich bezweifle, daß diese auf ihn verzichtet hätte, nur damit ich Emily übertreffen kann.«
Einen Moment sah er sie stumm an und sagte dann abrupt: »Morgen gebe ich zu deiner Rückkehr eine kleine Gesellschaft.«
Whitney spürte, daß ihr ganz warm wurde, auch wenn er gleich darauf hinzusetzte: »Genauer gesagt ist es keine kleine Gesellschaft, es ist eine verdammt große Affäre, zu der jeder Hinz und Kunz aus der ganzen Umgebung erscheint - mit Kapelle und Tanz und diesem ganzen Unsinn.«
»Das hört sich ja ganz .. . wundervoll an«, erwiderte Whitney und verbarg ihre Vorfreude hinter niedergeschlagenen Augen.
»Sogar Emily kommt mit ihrem Mann aus London. Jeder kommt.«
Seine Stimmungsschwankungen waren so unberechenbar, daß Whitney den Versuch aufgab, sich mit ihm unterhalten zu wollen. Erst als das Dessert fast gegessen war, brach er sein Schweigen - mit so unnatürlich lauter Stimme, daß Whitney förmlich zusammenfuhr. »Wir haben einen neuen Nachbarn«, dröhnte er, räusperte sich schnell und fuhr mit normaler Lautstärke fort: »Auch er wird kommen, und ich möchte, daß du ihn kennenlernst. Gutaussehender Bursche, Junggeselle. Kennt sich hervorragend mit Pferden aus, habe ihn neulich reiten gesehen.«
Der Wink mit dem Zaunpfahl war überdeutlich,
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