Sturm der Leidenschaft
klemmte es sich vors Auge und musterte Whitney ungeniert von Kopf bis Fuß. »Nun, junge Dame, was haben Sie mir zu sagen?«, wollte sie wissen.
Whitney kämpfte mit dem kindischen Verlangen, hilflos die Hände zu ringen, erwiderte aber ausgesucht höflich: »Ich bin sehr erfreut, Sie nach so vielen Jahren wiederzusehen.«
»Unsinn!« rief Lady Eubank. »Kauen Sie noch immer an Ihren Nägeln?«
Um ein Haar hätte Whitney die Augen verdreht. »Nein, das habe ich mir abgewöhnt.«
»Ausgezeichnet. Sie haben eine hübsche Figur, ein nettes Gesicht. Doch nun zum Anlaß meiner Visite. Sind Sie noch immer hinter Sevarin her?«
»Bin ich . .. was?«
»Junge Lady, von uns beiden bin ich es, die angeblich halbtaub sein soll! Also was ist? Sind Sie noch immer darauf erpicht, Sevarin zu dem Ihrigen zu machen?«
Mindestens ein Dutzend möglicher Reaktionen schossen Whitney durch den Kopf und wurden verworfen. Sie blickte flehend auf ihre Tante, doch die sah sie nur hilflos lächelnd an. Schließlich verschränkte sie die Hände hinter dem Rücken und blickte ihrer Peinigerin direkt in die Augen. »Ja, wenn es mir möglich ist...«
»Ha! Habe ich mir doch gedacht!« verkündete Lady Eubank zufrieden und kniff dann die Augen zusammen. »Sie halten nichts von Zimperlichkeit und holdem Erröten, was? Aber wenn das so wäre, könnten Sie gleich wieder nach Frankreich zurückfahren. Miss Elizabeth bemüht sich nun schon seit Jahren, ist aber auch noch nicht weitergekommen. Also nehmen Sie meinen Rat an und heizen Sie dem jungen Mann kräftig ein, machen Sie ihn eifersüchtig. Das ist es, was er braucht. Ist viel zu selbstsicher im Hinblick auf die Ladies, dieser Bursche, ist es immer gewesen.« Sie wandte sich an Lady Anne. »Seit fünfzehn Jahren muß ich mir nun schon die ermüdenden Lamenti meiner Nachbarn anhören, die Ihrer Nichte eine schreckliche Zukunft Voraussagen, Madam, aber ich war stets davon überzeugt, daß sie sich schon durchsetzen wird. Und nun«, fuhr sie mit einem Verschwörerlächeln fort, »kann ich mich tiefbefriedigt zurücklehnen und lachend Zusehen, wie sie sich Sevarin unter ihren Augen schnappt.« Sie hob wieder ihr Einglas, unterzog Whitney einer letzten Musterung und nickte abrupt. »Enttäuschen Sie mich nicht, junge Lady.«
Verdutzt starrte Whitney die Tür an, durch die Lady Eubank gerade entschwunden war. »Ich habe den Verdacht, sie ist nicht mehr ganz bei Verstand«, sagte sie leise.
»Und ich habe den Verdacht, sie ist schlau wie ein Fuchs«, entgegnete Tante Anne mit leichtem Lächeln. »Und ich glaube, es wäre gut, wenn du dich an ihre Ratschläge hältst.«
»Du siehst einfach atemberaubend aus, Liebes!« strahlte Lady Anne.
»Gefällt es Ihnen wirklich? Das Kleid, meine ich.« Vor Aufregung klang Whitneys Stimme ganz rauh. Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel. Ihre smaragdgrüne Samtrobe betonte die faszinierende Farbe ihrer Augen, in ihren dunklen Haaren schimmerten Perlen mit dem natürlichen Mahagoniglanz der langen, dichten Strähnen um die Wette.
»Ob es mir gefällt?« wiederholte Anne lachend. »Darling, es betont, was du bist: geistreich, ein bißchen gewagt, elegant und etwas ganz Besonderes.« Sie streckte die Hand aus, in der ein wundervoller Smaragdanhänger lag. »Dein Vater hat mich heute früh nach der Farbe deiner Robe gefragt, und eben hat er mir das hier gegeben. Es hat deiner Mutter gehört«, fügte Anne hinzu, als Whitney sprachlos auf das Schmuckstück starrte.
Der Smaragd war knapp vier Quadratzentimeter groß und von Brillantsplittern umgeben. Und er hatte nicht ihrer Mutter gehört. Stunden hatte sie vor dem Schmuckkasten ihrer Mutter zugebracht und jedes einzelne Stück in die Hand genommen, aber sie war viel zu nervös, um darüber eine Diskussion zu beginnen. Reglos blieb sie stehen, während Anne ihr die Kette um den Hals legte.
»Hervorragend!« rief Anne Gilbert und trat bewundernd einen Schritt zurück. Dann ergriff sie die Hand ihrer Nichte. »Komm, Darling, es ist Zeit für dein zweites Debüt.« Whitney wünschte sich von ganzem Herzen, Nicolas Du Ville wäre da, um ihr auch diesmal zu helfen.
Ungeduldig lief ihr Vater am Fuß der Treppe auf und ab, um sie in den Ballsaal zu führen. Als er sah, wie sie die Treppe herab auf ihn zugeschritten kam, blieb er wie angewurzelt stehen und blickte sie so bewundernd an, daß Whitney wieder etwas zuversichtlicher wurde.
Im Eingang zum Saal blieb er stehen, nickte den Musikern kurz zu, und die
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