Sturm der Seelen: Roman
anzusehen, während um sie herum die gesamte Welt zusammenbrach. Evelyn merkte nicht einmal, dass sie weinte, bis sie die Kälte auf ihren feuchten Wangen spürte. Was konnten diese beiden jungen Menschen verbrochen haben, um das hier zu verdienen? Was war das für ein Gott, der so etwas zuließ?
Ein Stück weiter machte auch Missy sich bereit und veränderte vor Nervosität ständig den Griff ihrer Hände auf dem Brett. Eigentlich sah sie aus wie ein Mädchen, dessen größte Sorge sein sollte, was sie zum Highschool-Abschlussball anziehen würde. Stattdessen stand sie jetzt vor der unerbittlichen Frage, ob sie genug Kraft in Armen und Beinen hatte, um ein Dutzend Speere durch eine Mauer aus Sand zu treiben. Ganz am Ende des Walls stand Phoenix. Er war mit Abstand am ruhigsten von ihnen allen. Wie ein Fels in der Brandung stand er da und blickte scheinbar gleichmütig hinaus auf den Strand und die anstürmende Armee von Monstern.
Auch Evelyn schaute jetzt wieder hinaus auf den Strand, und ihr Atem blieb endgültig stehen, als sie sah, wie nahe ihre Angreifer schon waren. Metallene Panzerplatten glänzten auf ihren schuppigen Körpern, und mit weit aufgerissenen Mäulern, aus denen grässliche Fangzähne und violette Zungen ragten, wetzten sie gierig die Klauen an ihren muskelbepackten Armen.
Noch zehn Meter.
»Noch nicht!«, brüllte Adam, aber seine Stimme war unter dem Getrampel der heranstürmenden Armee und dem ohrenbetäubenden Fauchen aus ihren Kehlen kaum zu hören.
Fünf Meter.
Jake zitterte wie Espenlaub auf Evelyns Armen, dann schrie er, und sein Körper wurde steif.
Sie waren jetzt so nahe, dass Evelyn die schwarzen Schlieren in ihren gelben Augen und den Speichel sehen konnte, der aus ihren Mäulern troff. Und Evelyn sah, wie die Monster sie anstarrten, sah den Blutdurst und die Raserei in ihren glühenden Augen.
Endlich strömte wieder Luft in ihre Lunge, die sofort als gellender Schrei aus ihr herausbrach, dann warf Evelyn sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen das Brett vor ihr. Es glitt in die Wand, bis es endlich auf einen Widerstand traf, dann ergoss sich ein Schauer warmer Flüssigkeit auf sie. Sehnige Arme schlugen nach ihr, und weißliches Blut aus schnappenden Mäulern spritzte auf sie herab.
Evelyn taumelte zurück. Sie konnte ihre Augen nicht von dem Anblick der wie wild um sich schlagenden durchbohrten Echsenkörper losreißen. Eine der Kreaturen lag tödlich verwundet im Sand, doch die anderen schienen nur noch wütender wegen der Holzspitzen, die aus ihren Armen, Beinen und Rümpfen ragten, konnten sich aber nicht losmachen.
Die nächste Angriffswelle verlangsamte ihren Ansturm, überrascht von der Falle, in die sie getappt waren, wo sie eigentlich keinerlei Widerstand erwartet hatten.
Jetzt.
Evelyn drehte sich um und rannte auf die Höhle zu, ihren Blick immer auf den Eingang des dunklen Tunnels an deren Rückseite gerichtet. Schatten schossen über ihren Kopf und verdunkelten den Himmel, aber Evelyn schaute weder links noch rechts, sie sah nichts anderes als den rettenden Tunnel vor ihr, selbst dann nicht, als noch mehr Blut auf sie herabregnete und das Zischen um sie herum sich in Schreie verwandelte.
LX
MORMON TEARS
Darren konnte nichts anderes tun, als dabei zuzusehen, wie diese verfluchten Kreaturen auf ihn zugerast kamen wie eine schwarze Wand. Er sah die schwarzen Flecken in ihren leuchtenden Augen, spürte, wie sie ihn anstarrten und sein Wille zu kämpfen, unter der Last dieser bohrenden Blicke zu Staub zu zerbröseln drohte. Zitternd blähten sie ihre leuchtend roten und gelben Kehlsäcke auf, als würden sie jeden Moment Feuer aus ihren von Fangzähnen starrenden Mäulern spucken. Bei dem Anblick krampfte sich Darrens Herz zusammen und drohte aus seiner Brust zu springen.
Sie hatten keine Chance. Die schwarze Flut würde über ihren Köpfen zusammenschlagen und sich erst wieder zurückziehen, wenn nichts mehr von ihnen übrig war als ein paar abgenagte Knochen und blutiger Schleim.
Er schaute hinüber zu April, die ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte.
»Ich liebe dich!«, schrie er, aber nicht einmal er selbst hörte seine Worte unter dem Schlachtruf der angreifenden Monster-Armee.
April lächelte zögernd. Mit Tränen in den Augen wiederholte sie seine Worte. Darren versuchte ihre Lippen zu lesen und betete zu Gott, er möge diese Worte nur noch einmal aus ihrem Munde hören.
Nur noch ein einziges Mal.
Als Darren wieder auf den See blickte,
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