Sturm der Seelen: Roman
er aus dem Augenwinkel, dass Missy immer noch vor dem Deich stand. Er rannte auf sie zu und ergriff ihre Hand. Schreiend stand sie da, Blut tropfte aus einem tiefen Schnitt auf ihrer Stirn, und als er ihre Hand berührte, zuckte sie in Panik zusammen, doch dann erkannte sie ihn und ergriff seine Hand, als wolle sie ihn nie wieder loslassen. Hand in Hand liefen sie im Zickzack durch das Labyrinth aus Speeren, während um sie herum die schwarzen Kreaturen vom Himmel stürzten.
Die Luft war erfüllt von ohrenbetäubendem Zischen, sie zitterte förmlich, als wäre sie elektrisch aufgeladen, dann spritzten überall um sie herum weißliche Fontänen aus dem Schnee. So viele Körper landeten gleichzeitig auf den Speeren, dass die Erde unter ihren Füßen bebte.
Phoenix wischte sich ihr widerliches Blut aus dem Gesicht, wich Armen, Beinen und Köpfen aus und zog Missy hinter seinem schützenden Körper her. Er stemmte sich für sie beide zugleich gegen die Wucht des Angriffs. Krallen, scharf wie Dolche, bohrten sich in seine Beine und Arme und schlitzten seine Kleidung bis hinunter auf die Haut und die darunterliegenden Muskeln auf. Wunden klafften auf seinen Wangen, und Blut ergoss sich aus seinen offenen Lippen, aber niemals würde er zulassen, dass Missy etwas geschah. Schon in seinen Träumen hatte er sie geliebt, und jetzt, im wahren Leben, liebte er sie nur umso mehr. Eher würde er sterben, als sie auch nur den geringsten Schmerz erleiden zu lassen.
Die Monster waren überall. Manche standen aufrecht da, ihre Körper von oben bis unten durchbohrt, vom Beckenboden bis zur Schädeldecke, andere lagen flach auf dem Strand, die einen mit dem Bauch nach unten, die anderen, die noch in der Luft gesehen hatten, was sie erwartete, mit dem Rücken zuerst. Einer hätte es beinahe geschafft, nur mit dem Kinn hatte er sich an einer der Speerspitzen verhakt, und jetzt zerrte und zog er mit seinen Klauen an der Spitze, die zwischen den Augen aus seiner Stirn ragte. Immer mehr stürzten von oben auf ihre Artgenossen herab und begruben sie unter sich, wo sie langsam verendeten. Manche der Speere brachen ab, und die Durchbohrten taumelten hin und her und versuchten vergeblich, sich die scharfkantigen Splitter aus dem Leib zu ziehen.
Die Hitze all des verspritzten Blutes brachte den Schnee zum Schmelzen, während die gepfählten Mitglieder des Schwarms an ihren Fesseln rissen wie Kettenhunde.
Diejenigen, die rechtzeitig gesehen hatten, was den anderen widerfahren war, standen mit schräggelegten Köpfen oben auf der Klippe und betrachteten das Massaker unter ihnen. Schließlich legten sie sich flach auf den Bauch und kletterten, sich mit ihren scharfen Krallen an jeder Ritze im Fels festhaltend, hinunter.
Unterdessen rannte Phoenix durch den Höhleneingang. Er konnte kaum noch stehen, so überwältigend waren die Schmerzen in seinem Körper, aber er würde es überstehen. Alles, was zählte, war, dass Missy sich für den Moment in Sicherheit befand. Er zog sie hinter sich hervor, dann schob er sie direkt hinter Evelyn und Jake in den Tunnel, der ins Innere des Berges führte.
Gleich darauf ließ er ihre Hand los und drehte sich um.
»Was tust du da?!«, brüllte Missy ihn an.
»Ich komme gleich nach.«
»Geh nicht wieder da raus!«
Phoenix sah sie nur lächelnd an, und Missy musste nach Luft schnappen, als sie das ganze Blut auf seinem Körper sah. Es bedeckte sein gesamtes Gesicht und begann bereits durch seine Kleidung zu tropfen.
»Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas geschieht«, sagte er noch, dann humpelte er wieder hinaus in den Sturm.
LXII
MORMON TEARS
Mare packte Jill am Arm und zog sie weg von der Sandmauer. Sie hatte die Speere mit all ihrer Kraft durch die Wand gejagt, doch sie war einfach zu schwach. Jill hatte ein paar der Angreifer verletzt, aber keinen von ihnen ernsthaft. Sie kreischten und fauchten, als sie die Spitzen der Holzpflöcke viel zu schnell wieder aus ihren Körpern zogen und sich über den Deich stürzten. Ein Stück weiter am Strand überrannten ihre Artgenossen bereits die Seetangbeete; während sie auf ihrem Weg die Rohrleitungen zertrampelten, erklommen die Bestien vollkommen ungehindert den Wall und sprinteten dann mit beängstigender Geschwindigkeit auf sie zu.
Sie waren erledigt. Aber wenigstens brauchte er sich jetzt keine Sorgen mehr um die Zukunft zu machen.
Mare zog Jill an sich heran. Er küsste sie auf die Lippen und schaute ihr dabei geradewegs in die erstaunten
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