Sturm der Seelen: Roman
Haaren war überhaupt nichts mehr übrig, dennoch wusste Adam genau, wessen Kopf das war.
»Norman«, keuchte er und begegnete dem Blick des Reiters. Durch das Schneegestöber hindurch starrten sie sich an, und Adam begann unwillkürlich zu hyperventilieren. Nicht aus Angst, sondern aus purer Wut, die sich in glühend heißen Stoßwellen von seiner Brust bis in die Fingerspitzen ausbreitete. Sein Mund zuckte unkontrolliert, dann fletschte er die Zähne und preschte vorwärts, setzte seinen Stiefel auf den nächstbesten schwelenden Kadaver und riss mit einem schmatzenden Geräusch den Speer aus dem toten Körper heraus.
Schwer atmend und den Speer quer vor seiner Brust haltend stand er da.
Krieg verengte seine Augen zu Schlitzen, und die Flammen um sein Haupt züngelten höher. Sein Gesicht blieb immer noch hinter der Maske verborgen, aber Adam wusste auch so, dass er den Mund zu einem Lächeln verzog.
Mare griff sich ebenfalls einen Speer und stellte sich zögernd neben Adam. Er machte sich vor Angst beinahe in die Hose, aber er ignorierte seine Furcht und versuchte, möglichst gefährlich auszusehen.
Krieg warf den Kopf in den Nacken und schaute hinauf in die zuckenden Wolken. Dann stieß er einen Kriegschrei aus, der klang, als würden zwei Jumbojets in der Luft zusammenstoßen, wie das Donnern der Explosion über dem Ground Zero rollte es über den Strand und ließ Himmel und Erde erzittern.
Der Klang des Todes.
Dann sah Adam eine Bewegung in der Luft, und die Welt um sie herum wurde weiß. Mächtige Schwingen schlugen Adam und Mare ins Gesicht, als Hunderte von Falken sich auf sie herabstürzten. Hilflos hoben sie die Arme über den Kopf, sahen nichts als goldene Schnäbel und Krallen, die über sie hinwegjagten.
Wie eine Reiterstatue saß Krieg auf seinem Pferd, doch schaute er jetzt nicht mehr Adam und Mare an, sondern blickte hinter sie auf den Eingang der Höhle.
Adam wirbelte herum, und der Anblick, der sich ihm bot, traf ihn wie ein Faustschlag. Die Falken stürzten sich auf Phoenix, ihre Schnäbel waren rot von seinem Blut, und ihre Krallen bohrten sich in seine Haut. Blut spritzte in alle Richtungen und malte ein bizarres Muster des Schmerzes in den Schnee. Und dann sah Adam zwischen dem Gewirr aus Klauen und Flügeln hindurch Phoenix’ Augen. Sie waren vollkommen ruhig, er blinzelte nicht einmal, während die Schnäbel immer wieder in sein Gesicht hackten.
In einem riesigen Knäuel aus hektisch zuckenden Flügeln erhoben sich die Falken wieder in die Luft und rissen ihre blutverschmierten Schnäbel zu einem infernalischen Kreischen auf, das einen Sprühregen aus Blut über den Strand niedergehen ließ.
Phoenix wollte lächeln, aber es verursachte ihm einfach zu große Schmerzen. Er fühlte sich, als wäre ihm seine gesamte Lebenskraft ausgesaugt worden. Er sank auf die Knie. Frisches Blut aus den zahllosen Wunden unter seiner zerfetzten Kleidung bedeckte jeden Quadratzentimeter seiner Haut. Seine Augäpfel rollten nach oben, dann verlor er das Bewusstsein und sank vornüber in den Schnee, noch bevor er seine Arme ausstrecken und versuchen konnte, seinen Sturz zu bremsen.
»Phoenix!«, brüllte Adam und rannte zu ihm, schob eine Hand unter den Kragen seines Anoraks, um Phoenix’ Puls zu fühlen. Er war schwach und ungleichmäßig, aber sein Herz schlug noch.
Adam stand wieder auf und schaute zurück zu Krieg. Die weißen Falken kreisten über dem Strand, ihr Kreischen zerriss die Nacht, und unter ihnen erhob sich ein frenetisches Zischen.
Adam hob seinen Speer wieder auf und richtete ihn auf Krieg.
Blitze schlugen in den zitternden Erdboden.
Der schwarze Schlund der Hölle tat sich auf, und die letzte Schlacht begann.
LXIV
MORMON TEARS
Adam rannte durch den Rauch auf den Schein der Flammen zu und hielt die Spitze seines Speers in die Richtung, in der er Krieg vermutete. Er würde nur diese eine Gelegenheit bekommen, und Gott allein wusste, was geschehen würde, wenn er sein Ziel verfehlte.
Schrilles Kreischen hallte in seinen Ohren, weiße Schemen stürzten vom Himmel herab und verwirbelten Schnee und Rauch zu einem undurchdringlichen Nebel. Adam machte sich bereit für die Vogelklauen, die sich jeden Moment in sein Fleisch graben würden, aber die Falken berührten ihn nicht einmal, sie streiften ihn nur mit den Spitzen ihrer langen weißen Schwingen und jagten an ihm vorbei. Adam rannte weiter auf die Flammen zu, die jetzt immer greller leuchteten, bis er Krieg deutlich auf
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