Sturm der Seelen: Roman
draußen wehte der Schneesturm herein, und jetzt konnte Jill auch den roten Krieger sehen. Er hatte die Statur eines Menschen, aber das war auch schon das einzig Menschliche an ihm. Er überragte Adam, der als Einziger noch zwischen ihnen und diesem Monster stand, beinahe um zwei Köpfe, und mit den langen Stacheln auf seinen breiten Schultern erinnerte er Jill an einen römischen Gladiator. Sie wollte schreien, doch dann sah sie Phoenix auf dem Boden liegen und Mare, der mit schmerzverzerrtem Gesicht auf sie zugekrochen kam und seinen zerschmetterten Fuß hinter sich herzog.
Vor der gegenüberliegenden Wand glimmte ein Aschehaufen, in dem sich die Konturen von verbrannten Knochen abzeichneten. Nur aus dem Holz eines abgebrochenen Speeres, der darin lag, züngelten noch ein paar Flammen. Eiskalter Wind peitschte ihr ins Gesicht und zerblies die Asche zu Staub.
»Phoenix!« Missy rannte zu dem Jungen und legte seinen Kopf sanft in ihren Schoß. Der Anblick von so viel Blut ließ sie am ganzen Körper zittern, sie hatte noch nie einen Menschen mit so vielen Schnittwunden gesehen. Phoenix’ Haut sah aus wie ein in Würfel geschnittenes, blutiges Steak, und selbst unter der leichtesten Berührung öffneten sich sofort neue klaffende Wunden. Missy riss sich ihre Jacke vom Leib und versuchte, das Blut abzutupfen, aber jeder Kontakt mit dem weichen Stoff zog nur ein schmerzerfülltes Stöhnen nach sich. Tränen liefen ihr übers Gesicht und gefroren zu Eis. Schließlich schlang sie ihre Arme um Phoenix’ schmalen Brustkorb und hob ihn hoch. Sein Kopf sank auf ihre Schulter, dann lehnte sie ihn gegen die Wand und stand schwankend wieder auf.
Ihre Kleidung troff nur so von Phoenix’ Blut, und Missy stieß einen Schrei aus, der sogar das Zischen des Schwarms übertönte.
Dann war einen Moment lang alles ganz still. Jill packte Mares Handgelenke und zog ihn zum Eingang des Tunnels. Sie hatte nicht gesehen, wie diese letzte Schlacht ausgehen würde, doch eines wusste sie mit Sicherheit: dass es noch mehr Blutvergießen und noch mehr Schmerzen geben würde.
LXVI
MORMON TEARS
Die Augen stets auf Krieg gerichtet, griff Adam mit seiner Hand nach rechts, bis er einen weiteren Speer zu fassen bekam. In einer Fontäne schnell abkühlenden Echsenblutes riss er ihn aus dem Boden, dann stieß er zu. Doch er war zu langsam. Krieg packte die Spitze und zerbrach den Speer wie ein Streichholz. Als er die Bruchstücke von sich schleuderte, hörte Adam einen schrillen Aufschrei: Der Pfahl hatte eines der schwarzen Reptilien unterhalb des Schlüsselbeins getroffen, wo er jetzt herausragte wie ein Pfeil. Die Kreatur blähte ihren orangefarbenen Kehlsack auf und verspritzte dabei ihr Blut auf ihre Artgenossen, die sofort wie aus einer Trance erwachten und sich auf ihren verwundeten Verwandten stürzten. Sie rissen ihren Bruder so schnell und gekonnt in Stücke, dass nur noch ein paar Hautfetzen und Knochen übrig blieben, die klappernd zu Boden fielen.
Krieg rammte Adam seine Faust in den Bauch, der sich daraufhin um dessen Unterarm faltete wie ein Klappmesser. Die spitzen Dornen auf Kriegs Knöcheln bohrten sich in Adams Haut, und Blut quoll über die riesige rote Hand. Adams Unterleib fühlte sich an, als habe sich die Faust mehrere Zentimeter tief in seine Eingeweide gegraben, und er versuchte verzweifelt, sich loszumachen. Mit aller Kraft stemmte er sich gegen Kriegs Körper, um sich wieder zu befreien, aber mit jeder Bewegung riss er sich nur die eigene Haut vom darunter liegenden Fettgewebe. Es war zwecklos. Erst als Krieg ihm mit der anderen Faust ins Gesicht schlug, kam er los. Er hörte noch, wie seine Haut zerriss, dann fiel er flach auf den Rücken. Blut füllte seinen Mund und seine Nase, und wie hypnotisiert starrte er hinauf in Kriegs Gesicht.
Der rote Goliath ragte über ihm auf und musterte ihn mit seinem durch die Überreste der Gesichtsmaske geschützten unverletzten Auge. Eines der Echsenwesen stürzte sich auf Kriegs blutige Faust und schaffte es, mit seiner lilafarbenen Zunge einmal darüberzulecken, dann schleuderte Krieg es beiseite. Die anderen hielten sich noch zurück, aber das Zischen steigerte sich jetzt zu einem Crescendo.
»Keller«, flüsterte Adam. »Ich weiß, dass du … dass du irgendwo da drinnen bist. Du musst dagegen ankämpfen.«
Der Reiter blieb vollkommen ungerührt, nur sein Auge brannte vor Hass noch heller. Die Art, wie er verächtlich auf Adam hinunterstarrte … wie ein Mensch auf
Weitere Kostenlose Bücher